Charakterisierung

Leider wurde der Forenbeitrag, in dem es um starke Frauen ging, geschlossen und was ich hier fragen will, soll auch etwas abseits von der Thematik liegen und mehr auf die Charakterzeichnung schlechthin abzielen.

Was mir aber in der Diskussion auffiel war, dass die Wahrnehmung in der Charakterisierung bestimmter Personen, extrem voneinander abweicht.

Klar hat Hermine dabei geholfen, dass Harry zum Helden werden konnte. Sie ist oftmals die treibende Kraft, aber ich bin nicht die Einzige Frau, der die Darstellung der Mädchen in dieser Reihe zu vielen Stereotypen folgt

Im Internet schreibt jemand Folgendes über „Harry Potter“:
*Erwachsene Frauen wurden vornehmlich über ihre Mutterrollen definiert (oder als Lehrerinnen, von denen zumindest zwei vornehmlich Comic Relief waren). Die Mädchen waren alle überemotional, schienen sich – bis auf Hermine und Luna – nur für Romantik zu interessieren. Und dann musste Rowling nach dem letzten Band auch klarstellen, dass jedes Mädchen, das den letzten Band überlebte, als Frau heiraten und Mutter werden würde. Yay. Übrigens beinahe alle andere Zauberer, wozu ich nachher noch komme. Na ja, und Ginnys ganzer Charakter war es, die perfekte Freundin für Harry zu sein. Doppeltes Yay.

Und dann merkte ich nach und nach, wie auch Hermine von dieser unterschwelligen Misogynie nicht verschont geblieben war. Sie war ein „nicht-wie-die-anderen-Mädchen“-Mädchen. Sie hat sich immer abgesondert, hat teilweise über das Verhalten der anderen Mädchen die Nase gerümpft und selbst misogyn agiert. Gleichzeitig wird sie jedoch auch mehrfach hysterisch dargestellt und als rechthaberisch – und die meiste Zeit macht sie dennoch die Arbeit für Ron und Harry, wenn diese zu faul sind. Juhu.
*
Ich kann dem so zustimmen und klar ist die Wahrnehmung von Figuren im Buch immer auch subjektiv. Aber wie bekommt man Charakterisierungen zuwege, denen alle gleichermaßen folgen können? Ist dies überhaupt möglich?

Mir fällt da noch ein aktuelles Beispiel aus Game of Thrones (Serie/Bücher) ein: Daenerys. Daenerys war für mich von Beginn an ein sehr zwispältiger Charakter. Sie wirkte psychisch labil, sie hatte von Anfang an eine Tendenz zu Grausamkeiten und vor allem in der Serie wird extrem oft darauf hingewiesen, dass die Targaryen einen Hang zum Wahnsinn haben. Mich hat also ihre Entwicklung am Ende der Serie sehr wenig überrascht - viele andere aber anscheinend schon (wenn man jetzt die vielen Kommentatoren betrachtet). Dabei hätte es - meiner Meinung nach - gar nicht mehr Hinweise geben können und ich war doch irritiert, das auch diese vielen Hinweise nicht halfen. Der Vorschlaghammer, quasi.

Wie bekommt man also eine Zeichnung von Charakteren hin, die von der Mehrheit in der Wahrnehmung geteilt wird? Sollte dies überhaupt unser Ziel sein?:unamused:

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Für mich ist das Ziel ein anderes.
Als Leser möchte ich in die Gedanken und Gefühle der Personen hineingenommen werden.
Ich mag es nicht besonders, wenn in einem Buch nur wie in einem Film-Drehbuch beschrieben wird, was jemand tut und sagt und was man gerade sieht, sondern ich möchte die Gedanken teilen und die Beweggründe „in Echtzeit“ miterleben.

Spontanes Beispiel: „Das Rosie-Projekt“. Wenn Don so wie Harry Potters Hermine nur von außen über seine Reden und Handlungen beschrieben worden wäre, wäre er einfach ein nerviger seltsamer Typ. Aber weil man beim Lesen Dons Gedanken und Beweggründe teilt, ist er für mich ein liebenswerter starker Charakter.

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Ja, aber das gehört doch zum Zeichnen des Charakters dazu, also zum mehrdimensionalen Zeichnen. Und das gehört für mich unbedingt dazu.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was du meinst, Isabel: Dass man seine Charaktere ändert, so dass die Mehrheit der Leserinnen sie mag - oder dass man die Charakterisierung so ausführlich macht, dass die Leserinnen ihre Motivationen nachvollziehen können.
Ersteres würde ich ganz deutlich verneinen - es muss nicht jeder meine Charaktere mögen!
Zweiteres finde ich persönlich schon sehr wichtig, allerdings kann die Erklärung für irgendeine Handlung für mich auch sehr viel später kommen, wie so ein Aha-Effekt … „Ach DESHALB hat sie in Kapitel 3 das und das gesagt!“

Für mich sind die Charaktere in Büchern/Filmen/Serien fast wichtiger als der eigentliche Plot, wenn ich einen Charakter finde, der mich aus welchem Grund auch immer packt, dann lese/schaue ich praktisch alles, selbst wenn es zu Genres gehört, die normalerweise nicht meins sind und lechze geradezu nach jeder noch so kleinen Information über die Figur.

Dasselbe gilt für mein Schreiben: Ich habe immer schon fertig ausgeformte Charaktere, mit einer Vorgeschichte (die in der eigentlichen Story vielleicht nie oder nur ganz am Rande vorkommt), Vorlieben, Charakterschwächen und -stärken etc., *bevor *ich überhaupt anfange, über einen Plot nachzudenken. Insofern ist die Charakterisierung der handelnden Personen, was motiviert und bewegt sie, ihre innere Welt, für mich extrem wichtig, vielleicht lege ich manchmal auch zu viel Gewicht darauf, auf Kosten der Action … Aber ich habe immer schon nur das geschrieben, was ich selbst gerne lesen möchte … :wink:

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Ich meinte damit natürlich nicht, dass wir sie ändern sollen. Aber wir haben doch mit der Zeichnung eines Charakters eine ganz bestimmte Intention, also, wenn wir einen Charakter entwerfen - so ist das zumindest bei mir -, dann möchte ich schon, dass meine Leser die Figur lieben oder hassen. Aber anscheinend ist es möglich, dass der Leser diese Figuren völlig anders auslegt, als man das eigentlich möchte. Das kann, meiner Meinung nach, eine ganze Geschichte zerstören. Wenn du einen Protagonisten entwirfst und der Leser ihn als Antagonisten versteht. Daenerys war ja so ein Beispiel. Anscheinend war sie von Anfang an widersprüchlich geplant, jedoch wurde diese Widersprüchlichkeit von vielen Lesern/Zuschauern nicht wahr genommen, was dann am Ende extrem viele von ihnen enttäuscht zurückließ.
@mme_javert : Wäre dir das egal? Oder mit welchen Kniffen würdest du das zu verhindern suchen?

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Wurden denn im Buch Szenen aus ihrer Sicht erzählt? Ihre Gefühle, Gedanken und Beweggründe geschildert?
Oder wurde nur von außen (wie in einem Film-Drehbuch) beschrieben, was sie gerade tut und sagt und ob sie dabei ein wütendes oder ein verwirrtes Gesicht zieht?
Game of Thrones würde ich weder lesen noch die Serie gucken, das ist überhaupt nicht mein Genre; aber die Frage, ob der Autor den Leser in die Gedankenwelt der Figuren hineinnimmt, ist für mich allgemeingültig ein ganz wichtiges Qualitätskriterium für jede Art von Roman.

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Sehe ich genauso.
Man muss ja auch bedenken, dass der Charakter zwar in eine gewisse Richtung läuft, dennoch kann es passieren, dass er Tagesabhängig auch mal schlechter drauf sein darf, obwohl er vielleicht sonst immer eine Frohnatur ist.
In Gewissen Situationen vielleicht auch Hysterisch agiert, obwohl er sonst bedächtig ist. Das eine schließt das andere nicht zwingend aus.
Wir selbst haben auch einmal Tage, wo wir kämpfen wie Löwen und an anderen gebrechlicher sind.
Ein Charakter sollte immer vielschichtig sein, wie im wahren Leben.

LG Tessley

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Die Charakterentwicklung hat bei mir im Laufe der Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ich versuche dabei den Fokus auf unkonventionelle Protagonisten und Antagonisten zu legen, bei denen ich auch gerne mit den herkömmlichen Rollenbildern spiele. Dabei kann ich mich aber nur selten an bewährten Mustern orientieren, was das Handling der Figuren deutlich erschwert.

Wie das bei unkonventionellen Typen mit Ecken und Kanten aber nun einmal so ist, haben die jedoch gewisse Schwierigkeiten, sich in eine „normale“ Geschichte zu integrieren. Die Story kann sich also durchaus skurril gestalten. Dabei ein gesundes Maß zu finden, ist schon eine gewisse Herausforderung. Es motiviert mich aber auch immer, die Handlung über Grenzen hinauszuführen.

Deshalb werde ich auch künftig an unkonventionellen Charakteren festhalten - selbst wenn die sich an der Handlung reiben. Aber Reibung setzt nun einmal Nähe voraus und erzeugt auch Wärme. Vielleicht kann sich dann ein Teil der Leser:innen auch stärker mit diesen Typen anfreunden. Hängt sicher stark vom Zusammenspiel der Charaktere und der Handlung ab.

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Dann bleibt dir nur holzschnittartige Stereotypen zu verwenden und dem Leser per Tell vorschlaghammermäßig einzutrichtern, dass Figur A böse und Figur B gut ist - wäre mir persönlich zu langweilig. Interessant sind doch gerade etwas widersprüchliche Charaktere, die auch noch eine Entwicklung durchmachen. Wo Licht ist, muss auch Schatten sein. Jeder “strahlende Held” braucht auch ein paar dunkle Seiten oder negative Charakterzüge, ähnlich wie der Bösewicht auch ein paar gute Seiten haben sollte, sonst werden die Charaktere eindimensional.

Damit landest du auch schnell bei der Frage, was ist “Gut”, was ist “Böse”? Antwort: Es kommt auf die Sicht an. Wenn du auf deinem Balkon ein Wespennest entdeckst und es beseitigen lässt, hast du ein potenzielles Risiko für deine Familie beseitigst und damit etwas Gutes getan, aber rate mal, was die Wespen davon und von dir halten…
Ich behaupte auch einfach mal, dass niemand bewusst Böses plant oder tut, innerhalb seines persönlichen Wertekanons - so verzerrt und verschroben er im Einzelfall auch sein mag - versucht jeder, gut zu sein. Ob andere das auch so sehen oder unter diesen hehren Absichten sogar leiden müssen, ist wieder eine andere Frage. Es gibt nicht umsonst das Sprichwort “Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert”.

Der zweite Punkt - und der ist als Autor nicht vollständig beeinflussbar - sind die persönlichen Filter und Trigger der Leser. Jeder interpretiert Dinge auf Basis seiner Erlebnisse, Erfahrungen und Vorurteile anders. Wenn du einen Garten mit Rosenbüschen beschreibst, ist das für dich als Autor vielleicht eine reine Vertiefung des Settings, etwas um die Fantasie deiner Leser anzuregen. Das werden 60% deiner Leser auch so sehen. 20% werden sich vielleicht an den herrlichen Duft im Garten ihrer Oma im Sommer erinnern und mit positiven Erlebnissen mit der Oma verknüpfen, die restlichen 20% werden sich eher daran erinnern, wie sie sich als Kind ständig an den Scheißdingern gestochen haben und sich das immer entzündet hat und wie sie vielleicht noch mit dem flotten Spruch “Nun stell dich nicht so an, ist doch nur ein Kratzer!” abgefertigt wurden und damit deinem beschriebenen Garten negativ gegenüberstehen. Mit Charakteren ist es das Gleiche. Du kannst nur dafür sorgen, die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mehrheit es so sieht wie du, zu erhöhen, aber du wirst es nie erreichen, dass 100% der Leser es genau so sehen, wie du.
Daenerys ist m. E. ein schlechtes Beispiel, weil man nicht weiß, was der Autor mit ihr geplant hatte, da die Filme irgendwann die veröffentlichten Bände von GRRM überholt haben und irgendwelche andere Schreiberlinge die Serie fortgesetzt haben. Die Produzenten waren sich m. E. auch klar darüber, dass der Hype um GoT allmählich nachließ und wollten ein großes Finale und alle losen Enden schließen. Nur das wurde auch sehr deutlich in der letzten Staffel und darum waren viele enttäuscht.

Völlig außer Reichweite sind Leser, die sich auf einer Mission wähnen oder überall Verschwörungen wittern. Ist so ähnlich wie mit Eifersucht. Wenn du glaubst, dass dein Partner dich betrügt, wirst du ständig verdächtige Zeichen bemerken, die deine Eifersucht nähren.
In deinem Eröffnungspost zitierst du “Jemand aus dem Internet” mit einer Einschätzung von Hermine Granger als misogyne Figur. Ein schönes Beispiel für selektive Beweisführung ist die Pauschalaussage: “Mädchen interessieren sich nur für Romantik”. Ich konnte beim besten Willen bei Bellatrix Lestrange keinen übertriebenen Hang zur Romantik feststellen.
Die gleiche Jemandin wittert im selben Beitrag bei “Harry Potter” Propaganda für Tierquälerei, Misogynie, toxische Freundschaften, ungesunde Beziehungen, Misshandlungen innerhalb der Weasleys, Sklaverei, Heteronormativität, Kindesmissbrauch, kulturelle Umerziehung, Kolonialismus, Antisemitismus, und was noch alles. Liest sich wie Zehnkampf in der modernen Opferolympiade. So jemanden wirst du nicht erreichen können, egal, was du schreibst, da so lange heruminterpretiert und gedeutet wird, bis wieder etwas gefunden wird, was das eigene Weltbild - im konkreten Fall wohl die große, böse patriarchalische Weltverschwörung - bestätigen wird.

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Ersteres. “Game of Thrones” wechselt den POV in jedem Kapitel auf den jeweils relevanten Hauptcharakter, was sich aber auch aus der Struktur der Romanreihe erklärt - bei gleichzeitig stattfindenden handlungsrelevanten Ereignissen an weit voneinander entfernten Örtlichkeiten ist das anders gar nicht handhabbar, zumal bei GoT ja ein gutes Dutzend Figuren im Fokus steht.

Generell wird bei Romanen aber meist nur die Perspektive der Hauptfigur so bedient, wie du es dir idealerweise wünschst, es sei denn, du erzählst alles völlig auktorial. Das ist aber nicht unbedingt immer praktikabel. Der Wunsch nach mehr Innensicht speist sich vielleicht auch aus den jeweils präferierten Genres; bei Liebesromanen (speziell NA) ist zum Beispiel die Ich-Perspektive (oft im Präsens) fast schon Standard.

Leider eine Erscheinung, der nicht nur die Literatur mehr oder weniger hilflos gegenübersteht…

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Ja, GoT - auch die Buchreihe - erzählt aus Blick unterschiedlicher Charaktere.

Klar kann nicht jeder Dinge gleich interpretieren, aber wenn es so völlig daneben geht wie in GoT - sorry, dass auf dem Beispiel herumreite, aber es ist mir derart präsent - dann stellt sich mir schon die Frage, wieso die Erzähler eine derart große Zahl an Lesern/Zuschauern nicht erreicht hat. In dem Beispiel war es so, dass relativ häufig darauf verwiesen wurde, dass die Targaryens immer schon einen Hang zum Wahnsinn hatten. Wie kann man da noch überrascht sein? Es war quasi die Vorschlaghammermethode, die ich noch dazu ziemlich plump fand. Wäre das nur zwischen den Zeilen transportiert worden, würde ich dir mit unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten recht geben, RalfG

Meint ihr nicht, dass man - auch bei Figuren im Graubereich - die Einstellung des Lesers in eine bestimmte Richtung lenken könnte, so ganz subtil? :confused: Irgendwie finde ich die Erkenntnis der Unmöglichkeit, gerade ziemlich frustrierend.:sleep:

[Ich gehe übrigens sehr wohl davon aus, dass die GoT Drehbuchschreiber das Ende genauso schrieben, wie George RR Martin es wollte. Er hat die Rechte nur an sie gegeben, weil sie die richtige Person errieten, die letztlich auf dem Thron sitzt und er war eng in die Serie involviert. Vielleicht wird er den Weg zum Finale etwas anders gehen, aber das Finale wird wohl genauso aussehen.]

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Unwahrscheinlich.
(Übrigens ging es bei Martins Trickfrage an Benioff und Weiss damals nicht um die letzte Person auf dem Thron, sondern um die Identität von Jon Snows echter Mutter. Diese Frage wurde von den beiden richtig beantwortet, auch wenn GRRM die Korrektheit nicht kommentierte - allerdings war es auch keine allzu aufsehenerregende Leistung, weil die entsprechende Antwort in Fankreisen eigentlich schon seit Jahren zirkulierte.)

Was den Targaryen-Wahnsinn angeht - das ist keine Charaktereigenschaft per se, würde ich behaupten.

Das kann ich gut verstehen, Isabel.
Wenn man einen Text in die Welt entlässt, dann muss man damit leben, dass er nicht so verstanden wird, wie man ihn gemeint hat. Ist ja bei jedem Facebook-Post (oder hier im Forum :p) so, aber bei einem Buch natürlich viel gravierender.
Ich kann dir da nur ans Herz legen, dich von deinen Figuren ein Stück weit zu emanzipieren. Du schickst sie in die Welt hinaus, klarkommen müssen sie allein. Und dass du, als Autor, sie in ihren Beweggründen und Tiefen sehr viel besser kennst als die Leser, ist auch klar. Die sehen eben nur den Ausschnitt, den du ihnen präsentierst/präsentieren willst/präsentieren kannst.
Aber das schöne ist, das ist gut so!
Wenn du wie JK Rowling eine Figur schreibst und die als miesen, rachsüchtigen und absolut ekelhaften Lehrer für Zaubertränke anlegst, dann ist das doch oberspannend, wie viele Leute sein Innenleben in unzähligen Fanfictions ausloten, ihm irgendwelche Romanzen/Affären/unehelichen Kinder/sonstiges andichten und ganz offensichtlich von dieser Figur fasziniert sind. Selbst wenn sie den nie so gemeint hat. :kissing:

Irgendwann hab ich an der Uni zu dem Thema auch mal einen Text gelesen (glaube, von Aris Fioretos), und der hat mich in der Hinsicht sehr geprägt. Wenn man etwas veröffentlicht, dann gibt man die Deutungshoheit darüber ab. Die liegt dann beim Leser. Und das ist auch gut so, glaub mir. Du kannst dir Mühe geben, die Figur so zu schildern, dass sie die von dir gewünschten Eigenschaften transportiert. Aber mehr auch nicht. Alles andere hast du nicht mehr in der Hand, wie @RalfG ja auch schon so treffend schrieb.
Außerdem, was gibt es schöneres, als wenn Leser über deine Figuren debattieren und sich darüber streiten, wer jetzt besser oder schlechter ist oder ob ihre Handlungen durch ihre schlechte Kindheit gerechtfertigt sind etc. :smiley:
Das zeigt nur, dass sie lebendig sind, und das ist doch das, was wir erreichen wollen! :thumbsup:

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Da bin ich nicht so überzeugt davon.
Die Drehbuchschreiber haben letzten Endes das geschrieben, was die Produzenten abgesegnet hatten. Martin hat dabei sicher beraten, aber die letztendliche Entscheidung traf wie immer der mit der Geldbörse.
Ich glaube auch nicht, dass Martin - sollte er je seine Romanreihe fortsetzen und beenden - die Verfilmung im wesentlichen nacherzählen, sondern davon abweichen wird, vielleicht auch im Finale, denn die Mehrzahl der Leute würde es nicht kaufen, weil sie ja schon wissen, wie es ausgeht. Ich denke schon, dass Martin da völlig andere Überraschungen einbauen würde.

Und nochmal zu Daenerys: Es wurde immer darauf hingewiesen, dass es viele Fälle von Wahnsinn in der Familie gegeben hat, aber nicht, dass alle wahnsinnig wurden. Und schau dir die Entwicklung der Figur an. Ein Mauerblümchen, das unter ihrem eindeutig überkandidelten Bruder leidet und an einen Dothraki verhökert wird. Der neue König Baratheon lässt sie verfolgen und will Attentate auf sie begehen. Sie nimmt viele Dinge einfach hin, später befreit sie Sklaven und lässt den Menschen die freie Wahl, ob sie die Freiheit wollen oder für sie kämpfen wollen. Über lange Strecken ist sie sehr positiv dargestellt. Erst gegen Ende kippt das, als sie diesen Übermutti-Komplex (“Ich weiß viel besser als ihr, was gut für euch ist”) mit Schreiner-Attitüde (“Wo gehobelt wird, da fallen Späne”) entwickelt.
Und mal eine provokante Gegenthese: Vielleicht war ja Jon Snow wahnsinnig und hat deswegen seine Tante gemeuchelt?

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Das stimmt natürlich, nur, wenn es immer und immer wieder erwähnt wird, ist klar, wo der Hase hoppelt :wink:

Jon Schnee war für mich ein Mensch, der sich nie entscheiden konnte und sehr zögerlich war. Zum König völlig ungeeignet. Ich fand das Ende daher nur konsequent. Er hatte sich ganz einfach mal wieder durch Fehlentscheidungen in eine Ecke manövriert. :wink:

Ich habe die Bücher zwar gelesen, kann mich aber jetzt an alle Einzelheiten und ihre Umsetung nicht mehr erinnern. In der Serie musst du aber einfach bei verschiedenen Sznen darauf achten, wie Daenerys sich verhält. Die Szene mit der Ermordung ihres Bruders ist da doch vielsagend. Ihr Blick. Wow. Da war mir klar, dass die Frau es faustdick hinter den Ohren hat. Natürlich kannst du sagen, dass sie auch „Gutes“ getan hat, das habe ich allerdings nicht so empfunden (die Sklaven wurden ja nicht nur befreit, sie wurden von ihr auch alleine gelassen und manche wollten gar nicht befreit werden, was ihr aber egal war), womit wir bei der Deutungshoheit sind, die @SchereSteinPapier anspricht. Ich fand ihr „Gutes“ eben oft einfach nur grausam. Sie hatte von Anfang an einen Hang zu Grausamkeiten. Und ich kann das Verbrennen von bösen Menschen (oder Gegnern) nicht gutheißen, nur weil es die Gegner sind. Warum ich die Figur dennoch mochte ist, weil sie eben so widersprüchlich war. Solche Figuren werden nie langweilig. Ich mochte Daenerys, fand ihr Ende zwar tragisch, aber letztlich verdient :kissing:

@SchereSteinPapier : Danke, ich werde mir deine Worte zu Herzen nehmen. ich denke, du hast damit vollkommen recht. Es ist nur so, dass man an Figuren hängt. Ich fühle mich immer noch schlecht, weil ich einen meiner liebsten Charaktere töten musste. Aber die Geschichte machte sein Überleben unmöglich. Dennoch geht es mir nicht gut damit. Und genauso schwer wird es mir wohl fallen, wenn die Figuren von den Lesern anders charakterisiert werden.

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Das ist völlig normal, würde ich sagen. Wenn dir als Autor deine Figuren nicht am Herzen lägen, hättest du für mein Empfinden etwas falsch gemacht :zipper_mouth_face: Man kann um sie trauern, man kann sie hassen, lieben, vermissen, mit ihnen ringen… Nur gleichgültig sollten sie einem nicht sein. :smiley:

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Da geht dann aber auch die Schere auseinander zwischen Buch und Film - das fiel mir nur auf, weil wir hier eingangs natürlich mehr literaturfokussiert argumentiert haben, was für ein solches Forum irgendwo auch logisch ist. Speziell im Hinblick auf GoT finde ich deinen Einwurf sehr interessant - die erwähnte Szene (die noch aus der ersten Staffel stammen müsste) wurde geschrieben und gedreht, als es bereits vier Bände von ASoIaF zur Veröffentlichung geschafft hatten. Natürlich ist die Wahrnehmung der Autoren hier von dem Character Arc beeinflusst, den Daenerys bis zu diesem Zeitpunkt durchlaufen hatte (das gilt auch für die Wahrnehmung durch die Buchleser). Streng genommen spoilert die Szene damit eine Entwicklung, die im Buch zu diesem Moment so noch nicht etabliert war, sondern sich erst im Laufe der Zeit im Unterbewusstsein der Fans verankert hat. Dazu kommt, dass IMHO die Geschichte der Targaryens (und die Geschichte vom Abstieg des Hauses in den Wahnsinn) zwar einen breiten Raum in den Erzählungen und Rückverweisen im Buch einnimmt, aber in der Serie gar nicht so stark thematisiert wurde. Zumindest nicht zu Beginn.

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@Magineer Es ging mir ja um die Zeichnung bzw. den Aufbau von Charakteren und seitdem ich mal einen Drehbuchkurs belegt habe, mache ich da keinen großen Unterschied mehr zwischen dem Schreiben und Serien. Die Vorarbeit ist da für mich die gleiche.

Die Drehbuchschreiber haben diese Entwicklung schon ab Staffel 1 angelegt. Ich kann mich an ein Interview mit der Daenerys Darstellerin erinnern, in dem sie anmerkte, dass die Regisseure/Drehbuchschreiber sie auf bestimmte Dinge hinwiesen, also Blicke, Verhaltensweisen, etc, die sie genau so von ihr wollten, die in den jeweiligen Szene für sie aber beim Drehen keinen Sinn machten, weil sie den großen Story Arch nicht kannte. Das begriff sie aber so richtig erst, als es zur finalen Staffel kam. Ich gehe also davon aus, es war keine Falschinterpretation meinerseits. :smiley:

Übrigens hat mich doch überrascht, wie nah am Buch die ersten Staffeln waren. Das geht bis hin zu Dialogen, die 1 zu 1 übernommen wurden. Dass die nicht alle Geschichtsstränge übernommen haben, ist klar. Der Martin hat erzähltechnisch ja einen Exzess zu Papier gebracht :wink:

Jetzt, wo ich ernsthaft selbst schreibe, bin ich beeindruckt. Ich könnte die vielen Charaktere gar nicht im Blick behalten.

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Dito. Hatte da teilweise sogar als Leser meine Schwierigkeiten… :unamused:

Und was das Schreiben angeht, merke ich bei „nur“ 4 Hauptcharakteren + 2 Nebencharakteren, dass ich an meine Grenzen komme. Einmal, weil ich für später auftretende Personen weniger Zeit habe, sie zu etablieren (ist ja halt nur ein Buch, und nicht 5+ wie bei Maddin) und dann natürlich, weil es ein ziemliches Hin- und Hergeschiebe mit den Kapiteln ist, damit sich die Perspektiven abwechseln, aber trotzdem alles noch chronologisch ist und in jedem Kapitel was vorangeht (in welcher Form auch immer).

Vielleicht nicht die ideale Wahl für ein Erstlingswerk, zugegeben. Aber Augen zu und durch. :smiley: Die Vorstellung, 60.000 Wörter nur aus einer Perspektive zu schreiben und danach einfach fertig zu sein, ist jedenfalls ziemlich paradiesisch gerade. :rofl:

Was das Charakterisieren angeht, ist mir noch was eingefallen: Mir ist es bei einer früheren Fassung meines jetzigen Texts passiert, dass ich eine meiner Figuren ganz toll fand und mein Bruder nach dem Lesen sagte: „Was ist denn das für ein langweiliger Spielverderber…“ Da habe ich mir diesmal beim Schreiben viel mehr Gedanken gemacht, wie ich die Eigenschaften der Figur (diszipliniert, loyal, zielstrebig, fleißig, ein Vorgesetzter) etwas sympathischer rüberbringe. Und gleichzeitig finde ich die Vorstellung, dass mein Bruder den armen Protagonisten immer noch blöd findet, wegen eben dieser Eigenschaften, superwitzig. :laughing:

An anderer Stelle hat diese Leser-Sichtweise aber auch ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Eine meiner Testleserinnen sagte über eine andere Figur: „Boah, der Typ, der erinnert mich voll an XYZ, so ein richtig mieser Streber…“ Hatte ich so gar nicht beabsichtigt, aber die Vorstellung hat mir so gut gefallen, dass ich nun a) einen kleinen Nebenkonflikt aufmachen konnte und b) eine Figur habe, die vorher eher blass war, es aber jetzt nicht mehr ist. :heart_eyes:

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