Die Schwäche und der Tod

Die Schwäche und der Tod

  1. Auflage vom 6.7.2019

Wir suchen und streben. Weiter und weiter und weiter hinaus.

Uns steht etliches offen. Und es dürstet unser Geist nach dem Unbegrenzten.

In uns, zu uns spricht der Mythos des Gartens Eden, der Mythos, der von einem wirkmächtigen ***„Essen aus dem Baum der Erkenntnis“ **erzählt, "um so zu sein wie Gtt", das heißt also, um jede uns gesetzte Grenze zu sprengen; ein Mythos, der in seinem Kern schon bei den Sumerern festgehalten wurde und aller Wahrscheinlichkeit nach sogar schon davor als mündliche Überlieferung vorhanden gewesen ist, und mindestens siebentausend Jahre alt sein dürfte. Man hat nämlich heutzutage komplexe linguistische Indikatoren herausgearbeitet, welche ermöglichen, einer älteren mündlichen Wurzel bei Erzählungen nachzuspüren und ihr Alter grob einzuschätzen.

Das Erschütterndste an diesem Mythos ist der zustoßende Verlust, das letztliche Sich-Behaupten von Grenze, somit zuletzt der Gesang der Schwäche hinter dem Versuch nach deren Sprengung; der große Gesang vom TODE gerade beim Versuch, das unbegrenzte Leben in zunehmender Menschenmacht zu erlangen und für immer einzufangen. Also strandet; strandet am Tod in diesem menschlichen Ur-Mythos das Begehr zur Entgrenzung.

Wir leben auf den Tod zu. Von Anfang an und unaufhaltsam.

Jener ersehnte ***„Garten“, „unser Garten“ ***läßt sich nicht „einspeichern“, wird dem zur Chimäre, der sich seiner bemächtigen will.

So enden wir also.

Wir alle, der Mickrigste, der Triumphator, der Großgeist, der Narziß, der Künstler, der Eroberer von Raum und Zeit, der Nichtsnutz, der Wahnsinnige, der Weise und der Narr.

Zum Ende nur noch die Schwäche; das Absacken; das Sterben; Knochen und Staub.

Erinnerungen auf Erde vielleicht.

Und nach Tausenden von Jahren auch keine Erinnerungen mehr. Nichts mehr. Aus der Entgrenzung in das Nichts.


Häufig bin ich dem Tod begegnet, eben auch bei Menschen, die ich noch als lebendige Wesen erlebt hatte.

Meiner Geschichte heftigster Bruch hierzu ist das schwere Lungenemphysem meines Vaters gewesen, der ihn nach der Einlieferung ins Krankenhaus in lediglich vierzehn Tagen welken; schwinden; röcheln; dann sterben ließ.

Er wurde vierundfünfzig Jahre alt.

Er war mein Vater. Und er wurde vor meinem Augen zu einem Häufchen sich verlierenden Elends. Und als ich selber vierundfünfzig werden sollte, und wußte, demnächst werde ich älter als mein Vater, demnächst wird **er **der Kleinere, der Jüngere sein, und ich, sein Sohn, der Ältere: da bebte es in mir. Es war mir ein Frevel.

Heute bin ich uralt. Heute träume ich manchmal davon, daß ich meinen Vater, fast ein kleines Kind, den kleinen Irdam beschützend im Arm an meiner Brust halte, ihn liebevoll wiegend ihm ein Schlaflied vorsinge…

Ist vielleicht die Liebe stärker als der Tod, stärker als sein letzter Sieg? Bin ich Irdams Sohn und auf alle Zeiten auch Irdams nährender Vater?

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He Abifiz. Gewaltig.
Weiß nicht was ich sonst sagen, schreiben soll.
Aber ich bin in Deinem “Fächerclub”.

Beste Grüße
Lusmore

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Ach, wir streben nach so vielem, (an)erkennen keine Grenzen und merken gar nicht, wie wir uns verlieren.
Ob die Liebe stärker ist als der Tod?
Vielleicht.
Tröstlicher Gedanke.

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Abifitz, Du bist sein Sohn, der kleine und der große Bruder, die Schwester die er sich immer wünschte und trotz all dem, er ist selbst im Tode immer noch so einsam wie Du im Leben. (Des Nachts stand ich auf von meinem Lager, ging in die Stadt und suchte, den meine Seele liebt. SALOMON).
Ich kann Dir folgen.

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Abifitz, es gibt eine Therorie. In uns sind uralte Strukturen verborgen, weit über die Zeit hinaus. So wie Zeiger auf Leerstellen. Wenn wir während unseres Lebens Erfahrungen machen, für die es Leerstellen gibt, erinnern wir uns.

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Ich habe Ähnliches mit meiner Mutter erlebt.

Nicht vielleicht, für mich ist das so!

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Aus einem Nichts sind wir gekommen.
Einfach so, um zu merken,
und dann in ein anderes zu gehen.

Lieber Gruß

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Hallo Abfiz,

ich habe deinen Text erst jetzt gefunden. Wie weise deine Worte sind und wie schön, traurig und wehmütig.
Das Bild, auf dem du deinen Vater wie ein Kind im Arm hältst, bewegt mich sehr.

Ich wünsche dir alles Gute und hoffe auch, dass es dir gut geht!

Weiser, uralter Mann, der in der Ferne lebt und stets alles wahrnimmt, erlebt und in wunderbare Worte fasst.

Liebe Grüße,
Vroni

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Auf den Punkt gebracht, danke zauberhafte Zauberfrau

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