Ich bräuchte mal eure Hilfe

Hallo ihr Lieben

Nun kommt die Stunde der Wahrheit, ich bräuchte eure Hilfe bei einer vielleicht absolut dämlichen Frage. Aber wie heißt es so schön, es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten :kissing:.

Bitte wo liegt der Unterschied zwischen einer Erzählung und einem Roman? Mir geht das nicht in den Kopf.

Das Ganze ist für mich deswegen wichtig, weil ich anfange mich auf meine Wintertätigkeit, also das Schreiben, vorbereite. Dieses Mal soll das Ganze mehr Hand und Fuß haben, denn bei meinem letzten Buch habe ich einfach drauflos geschrieben. Ich wollte unbedingt ein paar auf Wahrheit basierende und in meinen Augen königliche Geschichten erzählen und habe dazu meinen Paul zum Leben erweckt. Dieser jener Paul, soll auch im zweiten Buch die Hauptrolle spielen, wo er für mindestens ein Jahr, auf Island unterwegs ist. Im Großen und Ganzen möchte ich viele meiner eigenen Erlebnisse darin einbauen, aber auch Geschichten erzählen, die ich gehört habe und ich sie als erzählenswert erachte. Die Quintessenz des Buches soll lauten, „wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“ oder, wie wird man weise. :wink:

Und da ich gelernt habe, man sollte sich am besten vor dem Beginn des Schreibens überlegen, was man aufs Papier bringen will und in welches Genre das passt, fange ich halt damit an. Scheitere aber schon, weil ich es einfach nicht zuordnen kann. :thumbsdown:

Für mich ist meine Idee eine Erzählung, in der natürlich diverse Personen vorkommen, die sich auch unterhalten und gemeinsam etwas erleben, aber ich erzähle doch die Geschichte.

Kann mir da bitte jemand Licht in mein Dunkel bringen? :thumbsup:

Herzlichen Dank
Urmel :slight_smile:

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Liebe Urmel,

vor langer, langer Zeit war einmal ziemlich klar, was ein Roman, was eine Erzählung und – nicht ganz unwichtig in diesem Zusammenhang – was eine Novelle sei. Inzwischen ist es aber Asche mit dieser Sicherheit. Man kann bspw. mit relativ großer Sicherheit (also wenn man sich an den “alten” Kriterien orientiert) vielen heute als ‘Roman’ deklarierten Büchern diese Zuschreibung absprechen (gelegentlich wird das von Literaturwissenschaftlern und sogar noch vereinzelt von Kritikern auch so ausgesprochen), weil die eigentlich eher Novellen oder (längere) Erzählungen sind. – Im Dunstkreis einer längst fetischisierten Marketing-Optik gelten derlei Bezeichnungen aber als “verkaufsmindernd”, woraufhin heutzutage solche Elaborate meistens gleich zu Romanen “gemacht werden”, also hauptsächlich des Glaubens wegen, Erzählungen oder Novellen seien nicht geeignet, den Verkauf zu befördern.

Da ich kein Referat über Romantheorie abliefern möchte – obwohl das m.E. eine überaus interessaante Materie ist --, kapriziere ich mich jetzt einmal auf zwei Kriterien, die den Roman als “eigentlichen Roman” erscheinen lassen könnten, wenn man mal den ganzen Werbe- und Marketing-Humbug drumherum ausblendet und sich auf die eigentliche Materie konzentriert.

  1. Der Roman umkreist – in der Regel anhand einer individuell geeichten (hauptsächlich) oder “Kleingruppen”-Perspektive – das kontingente Weltganze. Will sagen: Der R geht nicht nur auf ein singuläres Ereignis und fokussiert allein darauf, sondern bettet den jeweiligen Erzähl-Schwerpunkt in eine jeweilige (ganze) Welt ein, also i.d.R. aus der Sicht eines oder einiger Protagonisten, natürlich oft in Opposition zu einer (oder mehreren) anderen solcher “Weltsichten”.

Soweit trifft das freilich bedingt auch noch auf Erzählungen oder Novellen zu. Aber jetzt kommt der maßgebende Unterschied:

  1. Romane lassen sich – herkömmlich; aber inzwischen verschwimmt das alles (s.o.) – dadurch von anderen Erzählgattungen abgrenzen, daß sie Nebenhandlungen entfalten. Was heißt: Es gibt nicht nur einen singulären Erzählstrang entlang eines Problemes, sondern der R entfaltet auch Erzählstränge, die vom Hauptthema abzweigen und entweder personal, thematisch oder in beiden Modi mit dem Hauptthema mehr oder weniger verbunden sind, ohne doch restlos darin aufzugehen. Es können sich also “Nebenhandlungen” entwickeln, es können vorübergehend Personen eine Rolle spielen, ohne daß sie das gesamte R-Geschehen beeinflussen müssen usw. usf. – Es gibt z.B. Romane, die inmitten ihres Textkörpers eine (manchmal sogar fast vollkommen) eigenständige Geschichte/Novelle enthalten.

  2. Aus dem in 1. und 2. Genannten – freilich gäbe es darüber noch viel zu sagen – ergibt sich noch ein drittes, allerdings vages Abgrenzungskriterium: Es wird schlicht von der Länge (also Wort- und Satzzahl usw.), also vom Umfang markiert. Ich finde es z.B. persönlich ziemlich lächerlich, wenn jemand einen Hundertsechzig-Seiten-“Roman” abliefert, wobei klar zu sagen ist, daß dabei ein subjektives Kriterium hineinspielt und auch formale Komponenten eine Rolle spielen (ich will also nicht sagen, daß ein Hundertsechzig-Seiten-Roman ein unmögliches Unterfangen sei, sondern nur, daß die allermeisten Elaborate solcher Couleur (ihrer mangelt es ja nicht “am” … ähm … “Markt”) tatsächlich kein wirkliches Romanformat haben.

Viele Agenturen und (eher mediokre) Verlage weigern sich ja auch, überhaupt Erzählungen oder Novellen anzunehmen. Es scheint also “gut zu sein”, wenn du dich bei deinem zu schreibenden Werk gleich auf einen Roman kaprizierst …

Viele Grüße von Palinurus

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Lieber Palinurus

Ganz lieben herzlichen Dank für deine Ausführung.
Jetzt hab ich es begriffen! Und nun, wo du es ausgesprochen hast, jetzt erkenne ich auch ganz klar den Unterschied.

Ich persönlich ziehe allerdings die Novelle vor. Den Verkauf stelle ich erst einmal hinten an, ich will mich deswegen nicht verbiegen. Mir gefällt es zehn Mal besser, eine Geschichte zu erzählen. Mir liegt es fern Nebenschauplätze zu eröffnen, oder gar etwas dazuzudichten, was es nicht gab. Das ist in diesem Fall nicht nötig, es war aufregend und spannend genug.

Mehr kann ich dazu nicht sagen, du hast mir sehr geholfen. :thumbsup:

Liebe Grüße
Urmel

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Liebe Urmel,

da haben wir, was Vorlieben – zumindest in der Rezeption – angeht, etwas gemeinsam, denn ich liebe die Form der Novelle sehr. Beim Schreiben selbst kenne ich keine Präferenz; vielleicht liegt es daran, daß die „kleinen Formen“ bei mir immer die Anlage fürs Erweitern in sich tragen, wobei ich andererseits denke, daß dies – jedenfalls bei den „Klassikern“ – eigentlich ähnlich ist.
Mir fällt spontan John Steinbeck ein, von dem es eine Reihe manchmal durchaus kleinster, ja nicht umsonst 'short stories’ genannter Texte in Einzelveröffentlichung gibt, die er allerdings auch in seine Romane einbaute. Und guckt man auf die selbst, so ist ja wie im Fall von East of Eden zu konstatieren, daß ganze (Bestand-)Teile daraus fast schon als „eigenständige Romane“ in Erscheinung treten.

Wie dem auch sei: Der Roman ist sicher jene Form, an der seit langem am meisten herumexperimentiert wird. Warum die anderen Formen nicht so innovativ weiterentwickelt werden – ja, langsam auszusterben drohen, wenn’s so weitergeht wie in den letzten hundert Jahren mit der dabei m.E. zu registrierenden schnell und schneller anziehenden Dynamik --, weiß ich nicht zu sagen. Schade find’ ich’s allemal …

Viele Grüße von Palinurus

PS: Kleiner (und wie bei mir üblich selbstredend [pseudo-]„intellektuell“ verschandelter) Tip für eine wirklich ungeheuer inspirierende und wohl nie „unmodern“ werdende Geschichten-Sammlung, die trotz ihres inzwischen doch beträchtlichen Alters noch immer Legion ist und wahrscheinlich auch niemals in Vergessenheit geraten wird:

Wolfgang Hildesheimers Lieblose Legenden, mit denen er einstmals seinen Ruhm als Schriftsteller begründete. Ich wünschte mir eine solche Geschichten-Sammlung – in jener von Hildesheimer souverän gepflegten Kombinatorik von virtuoser Ironie und erzählerischen Lust am Ausformen des Bizarren der rezenten Wirklichkeit --, gemünzt auf die heutige Zeit. Obwohl ich immer wieder festzustellen meine, daß die W.H’s vom Bodensatz her sogar noch immer trägt. Wahrscheinlich liegt das tatsächlich an ihrer Überzeitlichkeit, in der Form und Inhalt auf eine Weise verschmelzen, wie es eben nur selten gelingt. – Der Autor himself hat die Lieblosen Legenden dem gegenüber einmal als „sehr zeitgebunden“ bezeichnet; jedoch kann diese Einschätzung mein eben geäußertes Urteil kaum trüben. Und nicht nur, weil Hildesheimer an keinem anderen seiner Werke immer wieder so herumgefeilt hat wie an den LL, um kleinere Anachronismen zum jeweiligen Korrektur- und auch Neuauflagenzeitpunkt zu beseitigen, ohne dabei allerdings jemals ins Grundgerüst einer Erzählung eingreifen haben zu müssen.
Nein! Die LL sind von ihrem Substrat her für mich v.a. deswegen von überzeitlichem Charakter, weil sie einige wenige Menschentypen aufs Korn nehmen, die überhaupt erst mit dem Kapitalismus – als der größten Scheinwelt, die jemals auf diesem Planeten instantiiert war – entstanden sind und wohl auch erst mit diesem Weltzustand zugrunde gehen werden, sofern sich die Menschheit vielleicht irgendwann doch noch entscheiden sollte, diesem barbarischen Schmierentheater im blutüberströmten Tarnkleid bloß vorgeschobenen Humanismus’ mit dem angeblichen Telos „gleicher Chancen für alle“ ein Ende zu setzen. Keine andere Gesellschaftsordnung hat das – jedenfalls im Funktionsbereich des Irdischen – je versprochen und sich ergo so perfide wie der Kapitalismus mit der eigenen Reklametrommelei des rein Ideologischen, also auch Lügnerischen, selbst überführt, ohne daß es freilich größers irgendwen jucken würde.

Damit das gelingen konnte – also eine derartig unsagbare Ignoranz gegen die perennierende Barbarei fortgesetzter Selbst- als auch Fremdverarschung wider besseren Wissens und auch entsprechende Bekundungen --, so meine These, bedurfte und bedarf es – neben anderem natürlich – noch immer gerade besonders jener Menschentypen, die Hildesheimers LL in den Blick nehmen … und gewissermaßen dekonstruieren … ohne daß doch diese Dekonstruktion irgendetwas am geradezu kafkaesken, bizarren Weltzustand ändern würde.
Wer jetzt aufgepaßt hat, könnte eventuell eines Ahnung davon erlangen, warum die Behauptung, Hildesheimers LL hätten überzeitlichen Charakter, nicht gänzlich absurd sein muß. Vorausgesetzt natürlich, der inhärente Kalkül des entsprechenden Arguments ist nicht korrupt, worauf unbedingt zu bestehen der Autor dieser Zeilen aber keineswegs wasserdicht machen könnte … was freilich – und das ist der selbstironische Clou an der hiesigen kleinen Reflexion – selbst dann noch die LL Hildesheimers ins Recht setzte, auch fürs Hier und Jetzt … :scream:

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