Teil 2
Er wohnte in Zone 3 Abschnitt B, einem der inneren Ringe des Wohnmoduls auf der Epsilon-Station.
Betrieben wurde die Station von der Stellar Mining Gesellschaft. Die Firma hatte seit Jahren die Investitionen im Minenbau vorangetrieben, und dabei ein besonderes Augenmerk auf den Komfort für die Minenarbeiter gelegt. In früheren Jahren wurde dieser Punkt vernachlässigt, wodurch es mehrfach zu Protestaktionen seitens der Arbeiter kam.
Die Epsilon-Station bestand aus 3 Modulen: Dem Wohnmodul, dem Verwaltungsmodul sowie den Industrieanlagen, in dessen Bereich auch die Docks für die Schiffe lagen. Mit jeweils 8 Ringen pro Modul zählte die Station zu den Meisterwerken der modernen Technik.
Die Wohnungen innerhalb des Wohnmoduls erlaubten Familien als auch Einzelpersonen einen Aufenthalt in einem angenehmen Umfeld. Angepasst an die jeweilige Familiengröße gab es in jeder Wohnung mindestens ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, Küche und Bad. Führungskräfte hatten Anspruch auf eine geringfügig größere Wohnfläche.
Die inneren Ringe des Wohnmoduls beherbergten die Unterhaltungsbereiche. Holosäle, Sportanlagen und andere Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben, regten die Bewohner dazu an, ihre Credits auszugeben.
Das Verwaltungsmodul beinhaltete die Büros des Upper Managements aber auch der Projektleiter, der Softwareentwicklung und der Arbeitervertretung. Die Stellar Mining Gesellschaft hatte verstanden, dass sie die Minenarbeiter nicht mehr nur als austauschbare Ressourcen betrachten konnte. Alle 2 Jahre kam es deswegen zu Wahlen, um neue Vertreter an die Diskussionstische zu bringen.
Das auf den Asteroiden abgebaute Erz wurde in den Industrieanlagen aufbereitet und teilweise unter Null-Gravitation zu neuen Legierungen vermischt, wie sie auf einem Planeten nicht herzustellen wären. Je nach Anwendungszweck der verarbeiteten Rohstoffe wurden diese dann gerollt, gepresst, zerschreddert oder vergast.
Als Umschlagplatz für diese Materialien fungierten die Docks der Station. Ein Teil der Rohstoffe wurden in Langstreckenfrachter gebracht, um ihre Reise in eins der nächsten Sonnensysteme anzutreten, während ein zweiter Teil in lokalen, benachbarten Fabrikstationen zu Elektronik, Maschinen und anderen Konsumgütern verarbeitet wurden. Ein verschwindend geringer Anteil an Rohstoffen wurde zum Zweck der Lebensmittelherstellung an Stationen mit hydroponischen Kuppeln geliefert.
Ian ging den Gang in Richtung Aufzüge entlang, als Alfred Gray seinen Namen rief. Ian blieb stehen und wartete, dass der kleine, rundliche Mann zu ihm aufschloss.
„Hallo Freddy“, sagte Ian.
„Hi. Fliegen wir zusammen rüber?“
„Klar, warum nicht?“
Gemeinsam gingen sie weiter zu den Aufzügen. Ian warf einen Seitenblick auf seinen Kollegen, der sonst immer in letzter Sekunde in den Gleiter sprang.
„Geht’s dir gut?“, fragte Ian.
„Ach ja… es geht… manchmal juckt die Hand.“
Freddy hatte seine linke Hand vor einigen Jahren bei einem Minenunfall verloren. Die Prothese, die er kostenlos von der Firma erhalten hatte, war nicht das beste Modell auf dem Markt. Zudem kam, dass der Sockel, auf den die Hand aufgesteckt wurde, nicht sauber verarbeitet und korrekt an die Nervenstränge des 37-jährigen angepasst war. Die Folge war, dass Freddy regelmäßig mit Phantomschmerzen und Jucken zu kämpfen hatte.
Als sie in den Aufzug stiegen, drückte Ian auf den Knopf für die Zentralachse. Beide Männer klinkten sich per Gurt in die Halterung ein, die an den Wänden der Kabine vorhanden waren. Eigentlich waren sie es gewohnt mit der Kabine in die Null-Gravitationszone zu fahren und hätten auch ohne die Gurte auskommen können. Allerdings hatte die KI, die für die Sicherheit der Arbeiter zuständig war, etwas dagegen. Sie hatte die Befugnis, ein Strafgeld zu verhängen, wenn die Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten wurden.
„Mister Stanley, Mister Gray, ich sehe, Sie haben dazu gelernt“, sagte prompt eine Stimme.
„Ja, ja“, sagte Freddy, „das letzte Mal hat mir gereicht!“
„Gut“, sagte der Aufzug. „Schließlich möchte ich nicht meine Statistiken mit einem dummen Unfall versauen.“
Ian schaute erstaunt an die Decke der Kabine.
„Versauen? Wer hat dir denn das Wort einprogrammiert?“
„Im letzten Softwareupdate haben wir die Möglichkeit erhalten, uns den Sprachgepflogenheiten unserer Gäste anzupassen.“
„Aber versauen? Sagst du sowas, Ian?“, fragte Freddy.
„Verdammt noch mal, nein! Nie würde ich so ein blödes Wort verwenden! Du?“
„Scheiße, nein! Eher würde ich mir die rechte Hand abhacken, als mit versauten Schimpfwörtern um mich zu schmeißen.“
„Jetzt hast du es doch gesagt“, meinte Ian.
„Mist!“
„Wir können uns den Sprachgepflogenheiten anpassen, merken aber, wenn man uns manipulieren will, meine Herren“, sagte die Stimme.
Ein Ping läutete das Öffnen der Türe ein, als die Kabine am Zielort ankam.
„Frohes Schweben“, meinte die Stimme.
„Eeeh… dir auch“, antwortete Freddy.
Gemeinsam glitten die beiden Männer die Zentralachse entlang. Die 100m dicke Röhre wurde durch modulare Wände in Räume und Korridore unterteilt. In regelmäßigen Abständen waren feste Wände mit Sicherheitsschotten verbaut, die verhindern sollten, dass alle Zonen in Mitleidenschaft gezogen wurden, falls es in einem Bereich zu einem plötzlichen Druckabfall kam.
Auf der Höhe der Ringe gab es jeweils eine Verbindung, die es den Speichen erlaubte, frei um die Achse zu rotieren. Die Aufzugsschächte verliefen innerhalb der Speichen. Dadurch bewegten sich die Ausgänge der Aufzugskabinen mehrere Male pro Tag die Wände der Achse entlang.
Pro Ring gab es jeweils zwei Speichen mit größerem Durchmesser. Diese beinhalteten neben den Leitungen zur Stromversorgung und zur Kommunikation auch die notwendigen Installationen zur Wasserversorgung und -entsorgung. Der Hauptteil dieser Achsen wurde jedoch von riesigen Frachtaufzügen eingenommen.
Ian und Freddy mussten immer wieder ausweichen, um nicht mit einem der Container zu kollidieren, die in unregelmäßigen Abständen an die Wand gegurtet waren. Diese warteten darauf, in einen der Frachtaufzüge verladen zu werden.
„Mein ich das nur, oder hängt hier immer mehr Zeug rum?“, fragte Freddy, als er sich wieder mal mit einem kräftigen Stoß von einer Wand zur anderen schob.
„Ich glaub auch, hier wird’s langsam eng. Lena, vom Verwaltungsbüro, meinte, die Controller wären dazu angehalten, jeden Container ordentlich zu untersuchen. In letzter Zeit habe es zu viele Drogenprobleme gegeben. Und dem will man jetzt entgegenwirken.“
„Hmm“, machte Freddy.
Nach einer kurzen Pause, sagte er: „Ich habe gehört, das Zeug kommt von den Fabrikstationen. Warum schauen die nicht einfach nur in die Container, die von da kommen?“
„Lena hat gesagt, das die Drogen von überall her kommen könnten. Das hätte jedenfalls ihr Manager gesagt.“
Freddy kraulte seinen Vollbart, während er langsam weiter glitt.
„Na ja, ich würd’s nicht in den Containern verstecken. Hast du das Zeug mal gesehen? Das ist klein! Da brauchst du keine grossen Behälter.“
„Woher weißt du denn, wie die Drogen aussehen?“, fragte Ian.
„Eeeuh…“
„Sag mir nicht, du hast was genommen!“
„Nein, ich hab‘ gesehen wie’s aussieht, als einem in unserer Schicht was runter gefallen ist. Der war schneller auf allen Vieren, um das Zeug aufzuheben, als du bis drei zählen kannst.“
„Und wer war das?“
„Paul Dunlap“
„Nein! Echt?“, fragte Ian erstaunt.
„Yepp. Achte mal darauf. Er hat in den letzten fünf oder sechs Schichten fast 10% mehr Erz abgegraben, als alle anderen.“
„Der schmächtige Paul?“
„Genau der.“
Ian und Freddy kamen am Anschluss zum Industriemodul an und warteten auf den Kabineneingang.
„Weis sonst noch jemand darüber Bescheid?“, fragte Ian.
„Über Paul?“
Ian nickte.
„Weis nicht. Außer dir hab ich’s noch keinem gesagt. Ich will ihn nicht unbedingt verpfeifen.“
„Dir ist aber schon klar, dass er einen Unfall auslösen kann, wenn er auf Drogen ist?“, meinte Ian besorgt.
„Ja“, antwortete Freddy, „aber wenn wir ihn verpfeifen, dann schaffen wir vielleicht unser Abbauziel nicht. Und dann kriegen wir keine Prämie. Von allein bezahlt sich meine neue Hand nicht.“
(Ich habe Freizeilen eingefügt, damit es hier im Forum etwas lesbarer wird)