Queere Charaktere ein Muss?

Ich würde gerne wissen, wie ihr dazu steht, bewusst queere Charaktere in euren Geschichten zu integrieren. Ich persönlich habe mir bis vor Kurzem nur wenig Gedanken darüber gemacht, doch je mehr ich schreibe, um so mehr überlege ich, inwieweit es wichtig und auch verantwortungsbewusst ist, queere Charaktere in die Story einzubinden (nicht nur als Randerwähnung, sondern als Haupt- oder relevanten Nebencharakter). Zumal das ja aktuell ein großes Thema ist, mit Hinblick auf gendern, Rassismus, Identitätspolitik …

Für meine Geschichte ist es irrelevant, ob eine meiner Nebenfiguren jetzt eine heterosexuelle Cis-Person ist oder eben queer. Meine Hauptcharaktere und deren Beziehungen untereinander stehen und an die will ich jetzt nicht mehr ran, das würde mich zu viel Zeit kosten. Aber die Nebencharaktere sind variabel. Daher bin ich jetzt dabei umzuplanen und zwei bis drei meiner Nebenfiguren werden nun homosexuell sein. Irgendwie halte ich es für wichtig, auch wenn ich persönlich weder betroffen bin, noch Leute in meinem Umfeld habe, die es betrifft. Ich weiß noch nicht mal, wie man das alles politisch korrekt ausdrückt, aber ich halte es dennoch für wichtig.

Ich möchte nur ungern eine patriarchalische Welt erbauen, die ebenso von weißen Cis-Männern dominiert wird wie unsere, will keine überholten Rollenbilder und Geschlechterzuschreibungen verwenden oder sogar noch verstärken, sondern Rollenstereotypen entgegenwirken und weitgehend auf geschlechterspezifische Diskriminierungen verzichten. Ich versuche es, aber merke, wie schwer das ist, weil eben jene auch in meinem Kopf fest verankert sind. Aber ich probiere es. Wie steht ihr dazu?

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Ich finde, das hängt von der Geschichte ab. Wenn es passt, dann rein damit, wenn nicht, dann nicht.

Na dann baue solche Charaktere doch ruhig ein. Baue sie ein, weil du es willst, nicht weil es politisch korrekt sein muss. Seit wann lassen wir uns die Geschichten vorschreiben?

Meiner Ansicht nach ist es keine Diskriminierung, wenn man nicht alle Geschlechter der Welt erwähnt. Es ist nur dann diskriminierend, wenn jemand in schlechtem Licht dasteht, AUFGRUND seines Geschlechtes.

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Für mich wäre das ein Grund, das Buch nicht zu kaufen.
Genauso wie ich mich auch nicht durch einen Roman quälen würde, in dem in jedem Satz gegendert wird.
Ich erwarte von einem Roman Unterhaltung, nicht politische Umerziehung.

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Ich halte das schon für wichtig, die gesamte Gesellschaft abzubilden. Diesen Figuren Raum zu geben bedeutet ja nicht, dass der Roman mit dem Finger auf dieses Thema zeigt und politisch wird. Aber es gibt diesen Figuren die Möglichkeit gesehen zu werden, zeigt, dass sie Teil der Geschichte sind, wie auch Teil dieser Gesellschaft.

Gendern ist für mich ein anderes Thema, das hat für mich in Romanen keinen Platz, wobei ich es tatsächlich nicht nur sinnlos finde, sondern es Frauen “sichtbar” und “hörbar” macht. Doch ich bezweifle, dass das zu einer tatsächlichen Veränderung bezüglich der Gleichberechtigung der Geschlechter führt, wenn patriarchalische Strukturen nicht durchbrochen werden.

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Ich finde das klasse, wenn ein Autor es schafft unterschiedliche „Lebenswelten“ abzubilden und starke Charaktere kreiert, in denen alle verdiente Repräsentation finden.
Das muss aber auch authentisch sein.
Vor allem im englischsprachigen Raum gibt es oft berechtigte Gegenwehr gegen halbgare Versuche Diversität abzubilden. Zuletzt hat es glaube ich die Netflix Adaption von Shadow & Bones erwischt. Die nachträglich hineingeschriebene Darstellung des Rassismuserleben der Protagonistin wurde extrem kritisiert, da sie die systemische Komponente völlig unter den Tisch gekehrt hat und einfach nichts mit der Wirklichkeit vieler Betroffener zu tun hat.
Ich glaube wenn etwas nur um der Diversität, oder des „USPs“ Willen gemacht wird, dann merkt man es der Sache an.
Wenn es ein echtes Anliegen ist, sieht das denke ich anders aus und kann toll werden, da ist dann aber wieder tiefgehendes Verständnis der Schlüssel. :thumbsup:

Finde ich persönlich hammer! :slight_smile:
Ich schaffe es nicht mich von den alten Strukturen zu lösen, dafür ist bestehende Ungerechtigkeit wiederum ein Tropfen der in der Geschichte das Fass mit Anarchie und Chaos drin zum Überlaufen bringt. :smiley:

Wer ein gutes Buch wegen vorkommender queerer Charaktere oder der eventuellen Thematisierung systemischer Probleme nicht kaufen mag, den verstehe ich meinerseits nicht. :unamused: Betonung auf „gutes Buch“ (spannende Geschichte, greifbare Charaktere etc. sind im Fokus).

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Wenn man irgendwas in seine Geschichte “einbaut”, “weil’s grade in ist”, dann wird es unweigerlich ein Klischee. Also das Gegenteil dessen, was man beabsichtigte.

Egal, welche Figuren man hat, man muss ihre Lebenswelt und ihre Sicht der Dinge gut kennen.
Und die Geschichte muss untrennbar mit dem verbunden sein, was sie besonders macht; sprich, es muss eine Geschichte sein, die mit einer andersgearteten Figur gar nicht funktionieren würde.

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Ich nicht, weil auch das von der Geschichte selbst abhängt. Wieso muss ich für Robinson Crusoe die komplette Gesellschaft abbilden?

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Als Frau bin ich da gar nicht repräsentiert. Oh nein, wie diskriminierend für mich! :laughing:

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Amen. :thumbsup:
Da müsste ich mich aber echt zu sehr anstrengen um die Aussage von @Vanessa so zu interpretieren als wolle sie jeder Geschichte Diversität aufzwingen.

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Will sie nicht? Ich hatte das dem Thread-Titel entnommen. Ohne Amen.

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Den Titel hatte ich nicht alleine auf mich wirken lassen. Im Kontext ihres ersten Posts (und vielleicht auch mit dem Wissen um ihr aktuelles Projekt) hätte ich da einen “größeren Rahmen” vorausgesetzt. Diversität in einer Gesichte über einen Eremiten zu fordern, das hätte ich persönlich da nicht hineinlesen wollen.

Also mein Amen steht. Erstrecht falls es doch so gedacht war, denke ich aber nicht… aber denken kann man ja viel :D.

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Puh.

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Tatsächlich möchte ich das nicht, es ging mir vielmehr darum, in den Raum zu werfen, ob es nicht sinnvoll ist, in Hinblick auf die gesellschaftliche Verantwortung jedes einzelnen, die Möglichkeit zu nutzen eben diese Diversität auch in Geschichten abzubilden, also die Möglichkeit zu nutzen, eine queere Figur zu erschaffen, wenn die Geschichte das hergibt. Unsere Gesellschaft hat definitiv ein Problem mit Diskriminierung von queeren Personen, sie werden als “anders” bezeichnet und ich glaube, wenn wir diesen Personen überall begegnen, dann müssen sie nicht auf ewig anders sein, sondern können “normal” werden.

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Womit wir wieder beim Punkt sind. Die Möglichkeit muss eine Möglichkeit bleiben.

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Nicht, weil es “in” ist, sondern weil es wichtig ist.

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Das ist sie ja auch, eine Möglichkeit ist eine Möglichkeit :wink:

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Leider habe ich oft das Gefühl, dass uns von den Medien, Möglichkeiten sozusagen aufgezwungen werden. Das mag ich nicht. Deshalb reite ich so darauf herum. Dir will ich das nicht unterstellen. In meiner aktuellen Geschichte passt vollkommene Neutralität zu klassischen Mustern.

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Ich bin absolut für queere Menschen und Charaktere. Dass die Medien da derzeit so den Finger drauf haben (auch hinsichtlich der EM), mag nervig sein, weil sich nicht jeder durch seine Sexualität identifiziert, ist aber wichtig, denn es gibt immer noch so himmelviele Vorurteile und Nachteile für LGBTQ±Personen, dass es einfach aufgezeigt werden muss. Das Gesetz, um das es immer wieder in Ungarn geht, ist da nur die Spitze des Eisbergs.

Was Geschichten angeht, sehe ich es wie die anderen: es muss passen. Wenn ein Charakter queer ist des Queersein wegens, dann ist das schlecht, denn eine eindimensionale Figur ist schlecht. In meinem Roman hat meine Hauptfigur eine homosexuelle Beziehung, das hat sich beim Schreiben so entwickelt und spielt eine untergeordnete Rolle, die Figur identifiziert sich dadurch nicht und es ist ein Teil ihres Seins und der Beziehung zu einer anderen Figur. Ein wichtigerer Nebencharakter empfindet sich weder als Mann noch als Frau. Darauf spiele ich durch andere Charaktere immer mal wieder an, ich ziehe der Figur gerne extravagante Kleider an, aber auch die reitet darauf nicht rum und existiert nicht wegen genau dieser Tatsache. Es ist einfach ein Teil von ihr.

Queerness kann eine Figur interessanter machen, den Autor dazu bringen, auch mal umzudenken, aber im besten Fall funktioniert sie auch ohne ihre Sexualität (wenn sie nicht elementarer Bestandteil der Geschichte oder des character arcs ist, wenn’s zum Beispiel um Diskriminierung geht).

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Du musst Dich entscheiden, ob Du eine Geschichte schreiben willst oder Propaganda.

Wenn Dir das Thema wichtig ist, dann musst Du eine entsprechende Figur entwickeln und für diese eine Geschichte finden, die ihre Geschichte ist – und dann dieser Geschichte folgen ohne Gedanken, was “wichtig” ist oder was “sein muss” oder was zu irgendwelchen Erwartungshaltungen passt: Dass da dann schon alles an seinen Platz rutscht, dafür sorgt dann schon die Magie des Schreibens.

Aber zu denken, “ich muss noch eine_*x was-auch-immer mit einbauen, egal ob’s passt” führt mit 99,9% Garantie zu einem Text, den niemand lesen mag. Und ist eigentlich respektlos, wenn nicht diskriminierend.

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Um deine Eingangsfrage zu beantworten: Nein, ein Muss ist es mit Sicherheit nicht.

Die Sichtbarkeit von queeren Personen, Menschen anderer Hautfarben etc. erhöhen zu wollen ist ein ehrenhaftes Anliegen, aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wie @Suse schon schrieb, wenn es quasi organisch in die Geschichte passt, wunderbar. Wenn man aber aus Gründen der political correctness, quasi als Quote, in seinen Geschichten krampfhaft einen homosexuellen, einen farbigen und meinetwegen einen übergewichtigen Charakter unterbringt, dann merkt man das. Dann bekommt die Geschichte schnell einen belehrenden Touch. Schau dir beispielsweise mal neue Filme der letzten paar Jahre an. Es gibt als Helden meist nur noch toughe, starke Frauen, die alles können, alles machen, nebenbei die Welt retten, etc. Die Männer in diesen Filmen sind entweder die Bösen, Trottel oder der Stichwortgeber für die Protagonistin. Das war sicherlich für den Wandel der Wahrnehmung von Frauen wichtig, aber so allmählich überkommt mich ein Gefühl, augenverdrehend zu sagen: „Ja, doch, wir haben’s kapiert“.
Auch besteht die Gefahr, dass man in Klischees abdriftet und letzten Endes seine eigenen Vorurteile der Welt präsentiert, sei es der crack-dealende Schwarze, der beim Tanzen sein natürliches Rhythmusgefühl offenbart, wenn er mit seinen Jungs „in da hood“ vorm Ghettoblaster abhängt oder die schrille Glitzertunte, die kurzhaarige Lesbe mit Holzfällerhemd etc.
Queere Menschen sind ganz durchschnittliche Menschen, mit Stärken, Schwächen, seltsamen Angewohnheiten, komischen Hobbies und wollen auch gar nicht besonders sein, sondern als selbstverständlich akzeptiert werden - und so sollten sie dann auch dargestellt werden, weder als Übermenschen, noch als gefährdete Art.

Du schreibst, du bist von dem Thema Queerness weder betroffen, noch kennst du jemanden, der queer ist. Da ist das Risiko, seinen eigenen Vorurteilen zu erliegen oder es als leidenschaftliche Kämpferin für die Gerechtigkeit in die Gegenrichtung zu übertreiben, verdammt groß. Da musst du deine Geschichte und deine Motive immer wieder hinterfragen.

So, und jetzt schalte ich mal in den Advocatus diaboli-Modus:
Also deine Hauptcharaktere (wahrscheinlich hetero) und ihre Beziehungen untereinander willst du nicht anpassen, aber ein paar unwichtigen und scheinbar völlig austauschbaren Nebencharakteren willst du nun nachträglich Queerness überstülpen. Das ist für mich kein Ausdruck besonderer Wertschätzung für queere Menschen, sondern entweder ein Versuch hip zu sein, sich selbst als moralisch überlegen fühlen zu können oder überbordendes Sendungsbewusstsein.

@Corinna: Ein Buch mit einem queeren Charakter würdest du weglegen, weil es politische Umerziehung ist? Dann lehnst du sicherlich auch Bücher mit heterosexuellen Charakteren ab, da das ja reaktionäre Propaganda für das Diktat der Heterosexualität ist, oder? Dann bleibt aber nicht mehr viel, was du noch lesen kannst.

Also, „Muss“ nein, „Kann“ definitiv, wenn es passt und die Charaktere angemessen dargestellt werden.

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