Vierte Wand im Buch durchbrechen

Moin,

auf der Bühne, beim Film oder in Serien kenne Beispiele, wo ein Darsteller die vierte Wand durchbricht und sich an den Zuschauer wendet, redet, als wenn er ihn sehen könnte.

Ich möchte meine Protagonistin im Buch durch diese Wand reden lassen.
Ich suche nach Büchern, Geschichten, … in denen dieses Stilmittel genutzt wird, leider erfolglos, bisher.

Hat jemand hier Erfahrungen damit? Oder mache ich wie im billigen Krimi, wo jeder Zuschauer/Leser nach 20min / 30 Seiten den Mörder kennt, nur der Oberkommisar sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Gruß Alexander

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Hallo, @KaePie,
ich empfinde so etwas als unangenehme Erzähler-Einmischung und auch als sehr veraltet.
Wahrscheinlich findet man deshalb nur wenige Bücher, in denen das realisiert wird. Ich könnte mir vorstellen, dass Lektoren so etwas eher ablehnen, aber bestimmt gibt es Ausnahmen. (Ich kenne nur keine und würde wahrscheinlich nicht weiterlesen wollen.)
Wenn ich eine Geschichte lese, möchte ich am liebsten vergessen, dass es einen Erzähler gibt. Ich möchte die Bilder, die der Autor mir vorsetzt, lieber für sich sprechen lassen.

LG
Pamina

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Ich mag das auch nicht. Es nervt mich bei Filmen ebenfalls ungemein, selbst bei weltberühmten wie zum Beispiel “A clockwork Orange.”
Ich finde den Film sehr gelungen, aber er wäre noch besser, wenn es keinen Erzähler gebe.

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Das ist immer noch ein beliebtes Stilmittel der Satire. Leute wie Douglas Adams nutzen das mit Erfolg.
Ich meine mich zu erinnern, das ich das auch schon bei Pratchett gesehen habe, das ist aber zu lange
her, um Dir noch einen Titel sagen zu können.

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Hallo Alexander,

die aktive Integration des Lesers – also durch direkte Ansprache – ist ein sehr interessantes Stilmittel, bei dem ich persönlich allerdings meine, daß sie einen souveränen Autor voraussetzt (also quasi stehe ich da vollkommen quer zu den einschlägigen Theoretikern, die solche Stilmittel gerade gern mit dem “Tod des Autors” verbinden), sonst droht m.E. schnell Pfusch. Denn die “wahre Kunst” eines solchen Einsatzes ist es ja, die Psyche (wenn ich mal so vulgarisierend sagen darf) des Rezipienten so zu beeinflussen, daß er mir als Autor folgt, anstatt sein eigenes hermeneutisches Spiel zu treiben. – So jedenfalls sieht es an der Oberfläche aus! Wenn man genauer guckt, ist aber ein solcher … ähm … “Perspektivwechsel” bei den Meistern des Faches eher** ironie**-gebrochen***; also mal stark vereinfachend gesagt: Der Autor “spielt” dann mit den Unwägbarkeiten, die er vorher selbst gesetzt hat und macht damit letztendlich klar, daß der Schein von Souveränität die Quintessenz ist – oder anders gesagt: So wenig sie beim Autor liegt, kann sie beim Rezipienten verortet werden – es gibt eben nicht die Interpretation, sondern immer sind deren viele, diverse möglich!

***die andere, die bad side an dieser Medaille ist freilich, daß heutzutage eine solche Schwemme an pseudo-ironischer Schreibe grassiert (v.a. im mittelmäßigen Bereich der Qualitätsskala – denn “ganz unten” wird bekanntlich gar nicht gewußt, was Ironie überhaupt ist! --, daß es schwerfällt, noch einen gewissen Instinkt dafür auszubilden; wenigstens dann, wenn die Kenntnis der Klassiker auf diesem Feld nicht mehr vorausgesetzt werden darf.

Ich sehe es so: Wer darum weiß, kann sich dieses Mittels bedienen (man denke z.B. an E.T.A. Hoffmann oder Thomas Mann) und wird besondere Ergebnisse erreichen, gehen jedoch Dilettanten an diese Materie, kommt meist nur Stuß dabei raus … – Was übrigens auch für die Rezipientenseite gilt: Bei der rezent deutlich zu beobachtenden “Regression des Lesens” (mit ihrem Pendant des Schreibens) allerorten (weitgehende Fixierung auf bestenfalls “Unterhaltsames” ohne sonderlichen intellektuellen oder doch wenigstens formalen Anspruch – schlicht gesagt: umso naiver, spo-satzmäßig und v.a. auch infantiler, umso besser) ist es ja z.B. gar nicht mehr so leicht möglich, ironische oder auch selbstironische Züge einzuarbeiten, weil das heutzutage nicht mehr erkannt und folglich grandios fehlinterpretiert wird! Der schließlich Geld für die Schwarte hingelegthabende Leser sieht sich – selbstredend vollkommmen zu Unrecht (aber das merkt kaum noch jemand!) – im Recht, darauf pochen zu dürfen, unterhalten zu werden (auch etwa schon auf Seite Zwoeinhalb mit der gaaaaaaanz groooooßen Spannungsbombe “bei der Stange gehalten” zu werden etc. etc.) was ja schon mal eine gewisse Grundpassivität im Rezeptionsgang impliziert und ergo den Autor sehr wohlüberlegt vorgehen lassen sollte, nämlich dahingehend, was er eigentlich will: Den Rezipienten in Anspruch nehmen auf ein literarisch-poetisch-hermeneutisches Abenteuer hin (dann ist’s m.E. das Risiko wert, auch solche unkonventionellen Wege wie das “Durchbrechen der Vierten Wand” zu gehen) – oder schon tausendmal breitgeschmierte Einheitssülze zu liefern, sozusagen als “Lese-Pendant” zur rezenten Serien-Flutung im Fernsehen und Netz (etwa, weil “man” Geld damit verdienen möchte), dann empfiehlt es sich eher nicht, weil der Wille zur Rezeption, ich sagte es oben schon mal, eigentlich eher am neoliberalen Standardmodell des möglichst einheitsgeeichten, stumpfsinnigen Konsumierens ausgerichtet ist, dem Motto folgend: Je doofer, desto besser; halt maximal ausgerichtet an Nietzsches Ewiger Wiederkehr des Gleichen, die sich der Denker von Sils Maria freilich soooo primitiv dann wieder auch nicht hätte vorstellen können … vermutlich …

Noch ein Wort zu meiner individuellen Haltung, also direkt auf den Schreibprozeß bezogen: Ich selbst kann mir so zu schreiben nicht vorstellen (wobei niemand weiß, ob morgen noch gilt, was heute absolut verbindlich erscheint); allerdings “experimentiere” ich – sozusagen – vice versa, indem ich daran “herummache”, die ich-erzählerische Perspektive, also ihre Stimme, gelegentlich … ähm … zu spalten … – M.E. ist der Effekt ein vergleichbarer wie bei aktiver Leserintegration, weil die Allmacht der Erzählinstanz nachhaltig hintertrieben oder sogar gebrochen wird und damit der Rezipient sozusagen per se “in die Pflicht genommen” wird. Aber es mag auch einem jeweiligen Naturell geschuldet sein, was man da im Einzelnen je präferiert.
Ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß an einer entsprechenden Ausarbeitung und auch ein “gutes Händchen” dabei.

Mir fallen spontan Autoren wie E.T.A. Hoffmann – und überhaupt Romantiker – als Beispiele ein, daneben natürlich Thomas Mann und weiters auch etwa Jose Saramago (vgl. etwa dessen Der Doppelgänger [sic]) oder Cees Nooteboom oder natürlich auch Jorge Luis Borges (m.E. auch Gabriel García Márquez, aber da bin ich mir gerade nicht sicher); genaugenommen stehen mir noch ein paar vor Augen, hege ihretwegen aber Unsicherheit und kann im Moment auch nicht in entsprechende Recherchen einsteigen. Doch wirst du – etwa bei Eingabe solcher Begriffe wie ‘Leserintegration’ – auch in einer Netz-Suchmaschine fündig werden; da gibt es dann auch literaturtheoretische Arbeiten zu, also einen reflexiven Hintergrund, was ja hier und da vielleicht auch nicht gänzlich schaden mag.

Ein Dankeschön übrigens noch für die schöne (Nachdenk-)Anregung!

Nachtrag: Etwas verbreiteter als die Integration in den Haupterzählstrang ist das “autorseitige” Ansprechen des Lesers übrigens in Rahmenhandlungen (vgl. z.B. Eco oder Thomas Mann).

Gruß von Palinurus

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Die Frage ist, ob Die neuen Leiden des jungen W. auch dazu zählen. Dort ist der Autor tot und spricht über sein (kurzes) Leben mit den Lesern. Hat mir sehr gut gefallen. Ein weiteres Beispiel könnte Die unendliche Geschichte sein, aber dort bin ich mir nicht ganz sicher. Es ist nur so ein Gefühl. Also ganz ehrlich, mir ist es völlig egal, mit welchen Stilmitteln mich der Autor fesselt! Mir ist aber nicht egal, auf welche Weise er mich langweilt. Im zweiten Fall dürfte aber nicht das falsche Stilmittel ausschlaggebend sein, sondern die mangelnde Beherrschung.
Der Nobelpreis war für mich auch so eine Offenbarung, da nach einem Gutteil des Buches fast alle Gewissheit zerstob. Aber sehr gekonnt gemacht, mein Lieblingsbuch vom heimlichen Forengott.

Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.
François-Marie Arouet

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Hallo Duane,

meiner Ansicht nach unbedingt! Plenzdorf mögen diese und jene Motive bewegt haben, auf diese Art zurückzugreifen (das “Vorbild” wird seinen Teil dazu beigetragen haben); aber mich dünkt, er habe wohl auch etwas hintersinnige politische Motive mirteinfließen lassen, die mit diesem Stilmittel geradezu grandios zum Ausdruck gekommen sind, ohne daß es auch nur die geringste *plakative *Wirkung zeitigen würde. Vielleicht war das auch (keinesfalls jedoch nur) ein Konter gegen das, was einmal Sozialistischer Realismus hieß … – Ich sage das nicht ganz ohne Rückgriff auf die seinerzeitige Wirkung der Goethischen Vorlage.

In dieser Aussage scheint mir ein Lapsus zu stecken: Denn falls es tatsächlich so sein sollte, daß es dir nicht egal ist [sic], wie dich ein Autor langweilt, ist doch recht eigentlich betrachtet die Langeweile bereits aufgehoben. Eventuell ständest du dann in einer Situation – aber das ist nicht zwingend der Fall! --, die dich (unwissentlich) dem Autor “gefügig gemacht” hätte. – Wobei ich sagen möchte, daß das manchmal vielleicht nicht der schlechteste Zugang ist. Mir ist es auf etwa diese Weise mit ein paar Lektüreversuchen in Bukowskis Buchstabendschungel so gegangen.

Viele Grüße von Palinurus

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@KaePie: Also, Columbo - ist zwar eine Serie - würde ich jetzt nicht als billig bezeichnen und da kennt der Zuschauer den Täter gleich zu Beginn und ist bei der Tat sogar mit dabei. Das daraus resultierende Katz und Maus Spiel ist überaus genial. Aber das Schreiben solcher Geschichten ist eine hohe Kunst. Womit ich nicht sagen will, dass du das nicht kannst. Ich denke es ist schwer, aber machbar.
In Büchern wollen mir jetzt nicht so recht Beispiele einfallen. Wobei… Würde da “Es stirbt in mir” von Robert Silverberg dazu zählen? Vielleicht kennt das hier jemand? Ich bin mir nicht sicher. Ich fühlte mich damals vom Autoren direkt angesprochen, weiß aber nicht, ob das nur war, weil ich mich in die Geschichte hineingezogen fühlte oder weil er es tatsächlich tat. Es ist zu lange her. Der Roman hat mich dennoch beeindruckt und ist eine der wenigen Geschichten, die in der 1. Person geschrieben sind, die ich mochte.
Ob mir ein solches Stilmittel gefällt hängt ganz klar von der ganzen Geschichte ab. Und von der Formulierung. Bei Filmen kann das durchaus auch erfrischend sein, so wie damals in “Ferris macht blau”. Die Serie Supernatural reißt auch immer wieder ganz fulminant die 4. Wand ein, allerdings tut sie das anders und die beiden Protagonisten sprechen nie mit dem Zuschauer. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten des Wandeinreißens.

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Lieber Alexander,

ich möchte noch eine m.E. nicht unwesentliche Ergänzung zum von dir dankenswerterweise angeschnittenen Thema machen, weil vielleicht etwas mysteriös klingt, was ich heute früh dazu angemerkt habe:

Gemeint ist damit die Erzählperspektive der Zweiten Person. – Wobei die ganz unterschiedliche Dimensionen annehmen kann und schon allein von daher betrachtet – anderes Wichtiges dabei jetzt mal zurückgestellt – durchaus auch ein probates Mittel interessanter, unkonventioneller literarischer Form repräsentiert.
Aus dieser Perspektive heraus kann sowohl der Leser als auch eine (und auch mehrere) sonst meist vernachlässigte Charakter- oder “Psycho”-Schicht(en) diverser dramatis personae inklusive jener eines möglichen Ich-Erzählers sehr differenziert angesprochen werden. V.a. ist es mit ihr auch möglich, die manchmal als … ähm … “uneigentlich” angesehene direkte Leseransprache formal zu umgehen, ohne sie doch gänzlich zu verwerfen (was freilich ein gewisses stilistisches und auch sachliches Vermögen voraussetzt).

Mein Hinweis möchte – so dir das nicht selbst längst klar ist – dezent darauf verweisen, daß ambitionierteren Autoren über diesen Weg auch Alternativsträngiges, womöglich sogar Subtileres zu Gebote steht als “nur” die direkte Leseransprache … – Daneben würde mich interessieren, ob sich hier im Forum noch andere Schreiberlinge mit diesen Dingen befassen und an derlei Ausformungen arbeiten. Einen Austausch darüber würde ich durchaus begrüßen.

Für dich, lieber Alexander (und natürlich auch andere Interessierte), verlinke ich hier eine quantitativ recht übersichtliche literaturtheoretische Arbeit zu diesem Thema, die nach meinem Dafürhalten zudem den Vorteil aufweist, auch für interessierte Laien sehr gut nachvollziehbar zu sein. Sie zieht also nicht mit Riesen-Gelehrten-Gedöns und zwanzigmal verschachtelten Sätzen voller Fremdwörter vom Stapel, sondern ist – aus meiner Sicht – absolut gut lesbar auch für Leute, die keine gelernten LitWiss’ler sind.

https://freidok.uni-freiburg.de/dnb/download/5297

Viele Grüße von Palinurus

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Herman Melville, “Der weiße Wal”, erster Satz: “Nennt mich Ismael.”

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Stimmt. Ganz vergessen. Da ist der Erzähler klasse. Eine rühmliche Ausnahme.

Bernard Cornwell, die großartige Uhtred-Saga. Ab und zu ist die Hauptfigur als Erzähler erkennbar, spricht als alter Mann den Leser direkt an, indem er beschreibt, wie er die Geschichte einem alten Mönch diktiert, mit dem er sich wechselseitig nicht leiden kann.

Dazu die SPQR Reihe (John Maddox Roberts, etwas älter). Decius Metellus, der olle Römer, macht’s ähnlich.

Beides mehrfach gelesen, übrigens. Geniales Zeug.

Der Name der Rose. Ich nehme meine vorherigen Urteile zurück.

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Zum Stichwort „veraltet“ (@Pamina22) – und/oder Jugendbuch oder (@Palinurus) Rahmenhandlung: Hier zwei Buchanfänge:

„Euch kann ich’s ja ruhig sagen: Die Sache mit Emil kam mir selber unerwartet.“
(Erich Kästner 1928)

„Woher ich diese Geschichte oder diese Geschichten weiß? Ausgedacht habe ich sie mir gewiß nicht!“
(Wilhelm Matthiessen, Das Rote U, 1932)

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Sue Grafton in ihrer ABC-Serie hat das auch gemacht. Die Hauptperson erzählt ihre Geschichten und hat immer mindestens einen Satz drin, der besagt - wenn ich darüber nachdenke, hätte ich schon jetzt wissen können, wie das ausgeht.

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Bridget Jones Tagebuch von Helen Fielding
(Das ist quasi die sexy Version von Jane Austens Stolz und Vorurteil.
In den jeweiligen Verfilmungen spielt Colin Firth die Rolle von Mr. Darcy)

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Danke für die Ausführungen.
Ihr habt mit viel zum nachdenken gegeben.
Besonderen Dank an Palinurus, auch wenn ich mehrere Anläufe gebraucht habe, zu verstehen.

Ein Teil der genannten guten Beispielbücher habe ich gelesen, in der Schulzeit, und leider verdrängt.

Ich werde wohl auf diese Technik erstmal verzichten und im stillen Kämmerlein probieren, ohne Zuschauer.

Gruß & schönes WE. :laughing:

Stephen King verwendete die direkte Ansprache in der Eröffnungsszene von „In einer kleinen Stadt“ und sehr schön nutzte Ernest Hemingway die 2. Person in seinem Buch Paris, ein Fest fürs Leben. Allerdings sprach er damit nicht den Leser an sondern sich selbst. Ein überraschender Kniff und mMn sehr gelungen.
Ich habe einen bescheidenen Versuch mit der 2. Person in einer Kurzgeschichte gewagt, die hier recht freundlich besprochen wurde: „Menschen im Fels

Liebe Grüße,
Peter

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Was Modernes: Nevernight von Jay Kristoff.
Der Kerl verrät sogar am Anfang etwas, was ich als Leserin gar nicht wissen will. Aber es hat ein ABER. - Schluss mit Spoiler! :slight_smile:

Ach, wie jetzt? Bin große Stephen King Leserin, aber das habe ich in der Tat verdrängt. :thumbsup: