Vom Mädchen, das zu viel träumte

*Die junge Frau mit dem grün-geblümten Sommerkleid stand vor der Tür der 1A und wartete darauf hereingerufen zu werden. Es war ein schwüler Tag und selbst in dem weitläufigen Backsteingebäude, das sonst immer angenehm kühl war, staute sich die Luft.

Eine Schweißperle kletterte langsam ihren Nacken hinab. Erschöpft blies sie die Wangen auf und fuhr sich über den nassen Hals. In der Hoffnung auf etwas Abkühlung - und da gerade niemand anderes im Flur zu sehen war - stellte sich die junge Frau mit leicht gebeugten Knien breitbeinig hin und fächelte sich mit seitlich ausgestreckten Armen auf bemerkenswert unelegante Weise Luft zu.

Nicht nur blieb ihr Versuch äußerst erfolglos, auch war es genau der Moment, in dem sich die Tür zum Klassenzimmer öffnete und Frau Christiansen mitsamt sehr schick-aussehenden und von der Hitze scheinbar völlig unbeeindruckten Eltern heraustrat. Na, großartig.

»…wie gesagt, wir sind sehr froh Ihren Alexander bei uns zu haben. Er ist ein sehr aufgeweckter Junge«, erklärte die elegant gekleidete Lehrerin gerade an die Eltern gewandt. Diese hatten die Frau in Gorilla-Pose jedoch bereits entdeckt. Der perplexte Gesichtsausdruck der Beiden ließ schließlich auch die Lehrerin irritiert nach vorne blicken.

»Oh…«, machte Frau Christiansen wortlos, »Sie sind schon hier? Ich hatte Sie erst in zehn Minuten erwartet!«

»Äh, ja, tut mir leid, ich bin immer etwas überpünktlich. Ich hoffe das ist in Ordnung?« erwiderte die Frau im geblümten Kleid und lachte etwas zu laut.

»Mh. Nun ja, jetzt sind Sie ja hier. Gehen Sie schon einmal rein, ich komme dann gleich nach.«

»Äh, ja klar, in Ordnung.«

Noch immer peinlich berührt betrat die junge Frau das Klassenzimmer und blieb etwas verloren beim Lehrerpult stehen, während Frau Christiansen sich freundlich bei den Eltern ohne Schweißdrüsen verabschiedete. Unheimlich, dachte die junge Frau und fuhr sich einmal mehr über den feuchten Nacken. Sie war sich selbst nicht ganz sicher, ob sie dabei an die Lehrerin oder die Eltern dachte.

Kurz darauf kam auch Frau Christiansen zurück in den Raum. Ihre sauertöpfische Miene *stand dabei in starkem Kontrast zu ihrem sommerlich-gelben Kostüm, das an jeder anderen Person freundlich gewirkt hätte. *

»Eigentlich habe ich immer gerne etwas Zeit zwischen den Terminen, damit ich mich auf das nächste Gespräch vorbereiten kann«, erklärte sie ungefragt. »Sie sind alleine hier?«

»Ähm, ja, tut mir wirklich leid.«

»Und wo ist ihr Mann?«

»Mein Mann? Äh, der ist auf Motorradtour mit seinen Freunden.«

»Auf Motorradtour?«, fragte Frau Christiansen verständnislos.

»Ja. Ach er hat so viel gearbeitet, da war das jetzt schon überfällig. Auch Männer brauchen Pause. Haha.« So nervös wie jetzt war die junge Frau zuletzt bei ihrer Führerscheinprüfung gewesen und die lag bereits 20 Jahre zurück. Wie schaffte es diese Lehrerin immer, dass die junge Frau sich bei jedem Gespräch so schuldig fühlte?

»Andere Väter schaffen es auch zum Elternsprechtag, aber naja, scheinbar passt es nicht in jeden Terminkalender. Wie auch immer. Wir sind heute hier, um über Ihre Tochter Lisa zu sprechen. Wie zufrieden sind Sie und Ihr Mann denn bisher mit Lisas schulischer Leistung? Sie haben das Halbjahreszeugnis gelesen?«

»Äh, ja klar. Das war doch gu-«

»Ah ja. Nun, mir ist aufgefallen, dass Lisa oft in Gedanken versunken ist und im Unterricht nicht aufpasst. Es scheint mir, das Kind lebt in seiner eigenen Welt und bekommt deshalb vieles nicht mit. Lisa hat auch schon häufig ihre Hausaufgaben vergessen.«

»Oh… äh ja, Lisa war schon immer ein wenig verträumt. Sie ist sehr kreativ, liest wahnsinnig gerne Bücher und hat viel Fantasie, wissen Sie?«

»Aha. Jedenfalls muss das Mädchen im Unterricht besser aufpassen, sonst kann aus ihr nichts werden. Sie darf nicht immer so verträumt sein. Immerhin leben wir in keiner Fantasiewelt.«*


So oder so ähnlich mag das Gespräch zwischen meiner Mutter und Grundschul-Lehrerin ausgesehen haben, als diese zum ersten Mal monierte, dass ich zu viel “träume”. Jedes meiner Grundschul-Zeugnisse erwähnt meine Verträumtheit. Weder als Kind, noch heute verstehe, was daran falsch sein soll, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und die Welt aus etwas anderen Blickwinkeln zu betrachten.

Ich liebte und liebe es noch heute, Geschichten zu hören, habe jeden einzelnen Buchstaben, den ich lernte, sofort auf den Seiten meiner Bücher gesucht und mich gefreut, wenn ich sie fand. Sobald ich schreiben konnte, brachte ich meine ersten “eigenen” Geschichten zu Papier, die man heute wohl als “Fan-Fiction” betiteln würde. Auch jetzt, als Erwachsene, träume ich noch viel und bin oft in Gedanken versunken. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass ich nichts “mitbekomme”. Manchmal beobachte ich auch einfach nur und frage mich, was wohl die Geschichte der Person ist, die mir entgegenkommt und so müde aussieht, der Frau, die so herzlich lacht, oder des Mannes, der mir in der S-Bahn gegenübersitzt.

Geschichten haben mir schon immer durch die dunklen Tage geholfen und ich hoffe, dass irgendwann auch meiner Feder die ein oder andere Welt entspringt die es vermag Leser zu bewegen und zu begeistern.

So viel erstmal zu mir :slight_smile:

Ich freue mich auf den Austausch unter Gleichgesinnten!

Eure Lisa

9 „Gefällt mir“

Hallo Lisa,

herzlich willkommen! Imagination ist unser bestes Hilfsmittel, sie liegt ganz oben im Werkzeugkasten. Griffbereit.
Ich wünsche dir viel Spaß hier im Forum.

3 „Gefällt mir“

Hey Lisa,

herzlich Willkommen :slight_smile: ich wünsche Dir eine gute Zeit und hoffe du findest hier die Motivation für deine Geschichte :wink:
Viel Spaß :slight_smile:

3 „Gefällt mir“

Cheers!

Viel Spaß hier! Fantasievolle und verträumte Schreiber:innen sind immer gerne gesehen. :slight_smile:

1 „Gefällt mir“

Willkommen bei den anderen Träumern hier im Forum

… und geträumt wird hier viel :bowing_man:

LG aus der Pfalz

1 „Gefällt mir“

Schade eigentlich! :smiley:
Umso besser, dass du dir das Träumen bewahrt hast! :thumbsup: Ich finde, damit hat man einfach so viele Möglichkeiten. Und wenn sie sich sogar irgendwann in einer Form niederschlagen (z.B. als Buch), dann ist es ja umso schöner, wenn man seine Träume mit allen teilen kann.

Find das klasse, dass du mit Fanfictions angefangen hast - so ging es mir auch. Als kleines Kind hab ich mir im Kopf Geschichten zu den Figuren aus den Büchern ausgedacht, die unsere Eltern uns vorgelesen haben. [Falls das jemand kennt: „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ und die nachfolgenden Bände von Alexander Wolkow]. Und auch später, als ich schon längst eigene Geschichten geschrieben habe, habe ich viel Fanfictions gelesen und auch geschrieben. Ich finde das ein tolles Medium, um sich auszuprobieren und mit Charakteren zu „spielen“. Eine prima Übung für später!

Viel Spaß hier um Forum! :thumbsup:

2 „Gefällt mir“

Herrlich, genau so war das bei mir auch! Allerdings war es in meinem Fall „Das große Buch vom kleinen grünen Drache“, das es mir besonders angetan hatte.

Vielen Dank für all die lieben Willkommensnachrichten. Gerade überarbeite ich das erste Kapitel meines derzeitigen Projekts (Fantasy) und werde es später vielleicht im Lesezirkel für Kritik freigeben. Ich bin gespannt, welche Baustellen da aufgedeckt werden. :slight_smile:

1 „Gefällt mir“