Prolog aus “Wie mich das Leben zum Mörder machte”
„Bitte. Setzen Sie sich doch."
„Danke.", hauchte ich. Das Licht des Raumes blendete mich etwas als ich mich auf den Stuhl niederließ, der einsam in der Mitte des Raumes stand. Meine Augenringe waren kaum zu übersehen. Die Lehne war hart und nicht einmal ein Kissen. Warum müssen solche Stühle eigentlich grundsätzlich so ungemütlich sein? Steckt dort eine Absicht dahinter? Muss man es den armen Menschen, die hier sitzen müssen wirklich so ungemütlich wie möglich machen?
„Sie wissen, warum Sie hier sind?", begann eine Dame. Wie sie mir dort gegenüber saß, erinnerte mich an meine alte Lehrerin. Als sie den Aktenordner vor ihr aufschlug, blickte sie kurz zu mir auf und nahm mit einer komplizierten Handbewegung ihre Brille von der Nase. Das hässliche Band an den Bügeln baumelte herab. Es war ganz aus einem goldenen Stoff, der ein wenig funkelte, gefertigt und einfach nur hässlich.
Dieser Aktenordner, einer von vielen, die gedruckte Version meines Lebens. Eine Dokumentation von Ereignissen, die nicht nur mein Leben veränderten. Sie veränderten einen ganzen Ort. Was damals geschah zerstörte Leben und brachte Blut, Tränen und unendliches Leid über alle Beteiligten. Aber nicht die, die mir das angetan haben saßen hier. Nein, nur ich!
Wieder stieg Wut in mir auf doch ich hielt inne und antwortete brav.
„Natürlich." presste ich kleinlaut heraus.
„Dann erzählen sie mir bitte nochmal wie Sie denn die Sache jetzt sehen. Ich brenne darauf es nochmal zu hören." Der herablassende Ton ließ wieder Hass in mir aufsteigen. Wie konnte sich diese Person anmaßen, so mit mir zu reden? Sie hatte keine Ahnung, was in mir vorging. Nicht im Geringsten konnte diese affektierte, selbstgerechte Kuh sich ausmalen, wie es war. Dieses Wechselbad der Gefühle aus unzerstörbarer Liebe und bedingungsloser Hingabe bis hin zur Selbstaufgabe auf der einen und unendlichem Leid auf der anderen Seite. Wie es ist heute hier zu sitzen und alles noch einmal zu durchleben. Ausgeliefert einem Tribunal, das über die Zukunft zu entscheiden hat. Ich atmete tief ein und aus. Sauerstoff durchflutete meine Lungen und gab mir den Atem, den ich benötigte mit fester Stimme zu antworten.
Ich schloss meine Lider und die Bilder vor meinem geistigen Auge wurden immer klarer. Wie ein Film liefen sie vor mir ab. Noch heute spüre ich jede Emotion, jeden Eindruck, ja sogar die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, als wäre es gestern gewesen. Die Welt um mich herum wurde immer dunkler und ich tauchte wieder in das ein, was geschehen war. Dem Anfang von Liebe, Schmerz, Hass, Wut, Trauer. Dem Anfang von einfach Allem, was mich heute definierte. Trotz dieser Last oder gerade deswegen begann ich bereitwillig meine Geschichte zu erzählen. Ich versuchte mein Umfeld zu vergessen und begann mit meiner Erzählung. Dieses Mal wollte ich kein Detail auslassen. Zu lange hatte ich geschwiegen und denen, die mir etwas bedeuteten, weh getan. Zu lange schon trug ich die wahren Gründe für mein Tun tief verborgen in mir.
Doch springen wir zum Anfang…