Zu spannend?

Jeder Autor versucht ja, dass sein Buch so spannend wie nötig wird, damit die Leser dranbleiben und es nicht genervt in die Ecke feuern. Der Spannungsbogen, oder gar mehrere Spannungsbögen sollen den Leser leiten und sollen ihn leiden lassen.
Klar ist der Thrillerautor an anderer (an mehr) Spannung interessiert als der, der eine Familiensaga oder einen Liebesroman schreibt. Aber Spannung (Konflikte, wie hier gerne benannt) brauchen beide Autoren.

Und doch, geht es euch auch manchmal so, dass der Autor es übertreibt? Dass es quasi zu spannend wird und man fürchtet, dass alles so schlecht ausgeht, dass man es nicht wissen will und aufhört? Oder dass man dermaßen schnell liest, weil man nur noch wissen will, wie der Protagonist oder wer auch immer aus dieser Szene wieder rauskommt? Ich kann so was auf den Tod nicht ausstehen, ehrlich.
Geht mir bei Filmen so, bei den wenigen Serien, die ich gucke, auch. Und bei Büchern ist es mir auch schon oft passiert. Nicht, dass ich aufgegeben nabe (gab es auch), aber doch so, dass das Lesen absolut nicht mehr genussvoll vor lauter Spannung war. Für mich ist das kein Qualitätszeugnis, im Gegenteil. Ich finde, man macht durch zu viel Spannung auch etwas kaputt, nämlich den langen, ruhigen Fluss, den ein Buch bietet.

Ich will als Leser oder Gucker nicht zu sehr auf die Folter gespannt werden, nicht so, dass ich kaum noch was mitkriege. Gerade heute wieder, Sons of Anarchy, vierte Staffel, irgendwo im ersten Drittel. Ich bin raus. Und ausgerechnet jetzt, wo Danny Trejo mitspielt! Sorry für die Mühe und die ausgegebenen Dollars, aber was zu viel ist, ist zu viel. Tausend andere Dinge haben mich vorher an der Serie gestört, aber ü b e r h a u p t nichts so sehr, wie die künstlich überhöhte, übertriebene Spannung, die sich über mehrere Episoden (absehbar) dreht. Das kann doch kaum das Ziel eines Autors sic(!) sein, oder wie seht ihr das?

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Lieber Duane,

ich gebe dir zwar recht darin, daß Autoren falsch oder wenigstens unzureichend souverän mit Spannung umgehen und dann ergo ein schlechtes Buch geschrieben haben – doch würde ich diesen Fall von jenem trennen, den du in oben zitierter Sequenz anführst: Denn es ist freilich kaum des Autors Problem, wenn ein Leser nicht mit diesen oder jenen Umständen der Klärung umzugehen vermag, weil er dieses oder jenes Ergebnis fürchtet, also eines, das ihm persönlich nicht in den Kram paßt [sic!]. – Ein solcher Leser (oder auch anderweitiger Rezipient wie etwa bei Filmen) hat dann offenbar ein Problem mit dem Umstand, sich einer Fiktion gegenüberzusehen (es geht ja immer um Fiktionen in der Literatur und der Kunst überhaupt!); was andersherum bedeutet: Solche Rezipienten lassen (“bei sich”) i.d.R. Identifikationen zu – auf diversen Levels und Ebenen --, die den Kern mimetischen Verhaltens überschreiten und in schlichte Mimikry münden. Wenn das der Fall ist, muß man nicht zwingend, so sehe ich das jedenfalls, den Autoren verantwortlich machen: es mag vielmehr sein, daß dann der Rezipient ganz einfach der ästhetischen Erfahrung nicht gewachsen ist, die vom jeweiligen Werk mitevoziert wird.

Der umgekehrte casus in Sachen überzogener Spannungsbögen liegt vor, wenn es ein Autor nicht schafft, das Niveau bloßer Mimikry zu transzendieren. Das ist i.d.R. bei literarischem – und anderweitig sich “künstlerisch” lediglich gebärdendem – Trash der Fall (meiner Beobachtung nach übrigens eher im Film als in der Literatur [geschriebener [I]Trash zeichnet sich meistens durch stumpfe Wiederholung längst zu schlammigem Quark breitgetretener, ewig-gleicher und somit langweiliger Genres ohne innovative Variationen aus]); und das Indiz ist dann oft extraordinäre (Pseudo-)Spannung. Daran schlägt sich die vulgäre Attitude nieder, zu glauben, “Spannung allein” könne schon für eine (genuin) fiktionale Darbietung einstehen, was aber natürlich vollkommener Unfug ist: Spannung allein ist gar nix; denn wenn sie nicht an Gegenständen und Konstellationen kondensiert, die auch ohne sie – platt gesprochen: “aus sich heraus” – fiktionale Faszination zu erwecken vermögen, verpufft auch die Spannung, entweder, indem sie sich in idiotisch aneinandergereihten Knalleffekten erschöpft, die keinen roten Faden erzeugen – der Rezipient wartet dann vergebens, im Labyrinth des aufgeblähten Unsinns ein Ende von Ariadnes Gespinnst an die Hand zu bekommen --; oder sie wird eben bloß künstlich (statt künstlerisch) retardiert, so etwa, wie du es schilderst, also ohne daß sie sich aus der “Logik der Dinge” aufbaut, wobei hier mit ‘Dinge’ das gemeint ist, was weiter oben “Gegenstände und Konstellationen” genannt wurde, also das, was eine gute Story jeweils überhaupt erst im Sinn eines Faszinosums konstituiert – und zwar auch außerhalb des Spannungsmomentes.

Souveräne Autoren halten langangelegte Spannungsbögen mit diversen Techniken – oft in Kombination mehrerer – aufrecht, indem sie etwa intervallmäßig kleinere erzeugen und sie handwerklich perfekt mit dem GroßenGanzen verfugen; oft nutzen sie auch die Möglichkeit, mit geschickt konstellierten Erzähltechniken dem Leser hin und wieder gegenüber den dramatis personae einen leichten Wissensvorteil zu verschaffen, sodaß sich die Spannung – vorübergehend – beim Rezipienten mehr darauf fokussiert, ob es denn jetzt Figur X schafft (und wenn: auf welchem Wege?), auch an dieses Wissen, worüber er schon verfügt, zu gelangen … et cetera et cetera

Man darf auf derlei Techniken und ästhetisierende Finten kaum im qualitativ unteren (also quantitativ größten) Teil pseudokünstlerischen Schunds hoffen, gleichwohl es nicht richtig wäre, damit schon den ganzen U-Sektor abqualifiziert zu haben. Denn in der Unterhaltungsliteratur wie auch bei filmischen Elaboraten dieser Couleur gibt es durchaus etliche Werke, die von solchen Techniken zehren (ich hatte kürzlich bspw. Stephen King dafür in Anschlag gebracht), derweil sie – auch das muß gesagt werden – nicht jedem Repräsentanten aus der Sphäre der “hohen Kunst” zueigen sind, manche von ihnen können phasenweise eine gewisse Langeweile aufkommen lassen. Bei ihnen ist es freilich weniger der Fall, daß sie unter überzogenen Spannungsbögen leiden … :smiley:

Gruß von Palinurus

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Ich gebe offen zu, dass mir etliche Serien, Filme, eher selten Bücher „zu spannend“ sind und ich mir die Freiheit nehme, solche nicht anzusehen. Das liegt ganz eindeutig an mir, andere empfinden das sicherlich in vielen Abstufungen, vielleicht sogar bis hin zur Langeweile.

Erbsen:
Lieber Palinurus,
gerade dachte ich, ja, jetzt hat er’s:thumbsup:

aber dann, im selben Absatz::roll_eyes:

upload_2020-11-15_11-24-44.png :cool:

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Dan Brown ist für mich einer der Autoren, die es übertreiben - am Ende jedes einzelnen Kapitels einen Cliffhanger finde ich krass, war zB im Da Vinci Code so. Trotzdem lese ich ihn gerne, eben weil’s spannend ist.

Vor Spannung zu schnell lesen kenne ich auch, stört mich aber nicht per se, sondern zeigt mir zunächst mal nur, daß der Spannungsaufbau der Geschichte funktioniert, sonst würde man ja nicht immer schneller lesen.

Für mich schlägt Spannung um in zu viel Spannung, wenn - und das ist gerade bei Serien oft der Fall - sie künstlich reingebracht wird, statt daß sie aus der Story selber käme. Trash-Beispiel: Findet sich quasi in jeder Serie, in der auch romantische Beziehungen vorkommen - dieses ständige, schlimmstenfalls über mehrere Staffeln aufrechterhaltene, künstliche “werden sie wieder zusammenkommen?” ist etwas, das mir richtig auf die Nerven geht.

Wenn die Spannung sich aber natürlich aus der Geschichte, aus den Charakteren ergibt, ohne daß der Autor diese künstlich überhöht, dann darf sie in meinen Augen auch nahezu unerträglich werden. Dazu braucht es aber nun wirklich starke Figuren und einen ebensolchen Konflikt.

Das Buch, das ich am schnellsten gelesen habe, war übrigens eines, das mich am meisten berührt hat: “Alex and me” von Irene Pepperberg; die Forscherin beschreibt, wie sie ihrem Graupapagei Alex das Sprechen beibringt - und gemeint ist nicht Nachplappern. Ich habe beim Lesen geweint und gelacht und mußte mich zwingen, das Buch immer wieder aus der Hand zu legen, um es nicht zu verschlingen, sondern genießen zu können. Die Spannung hält übrigens, obwohl ihr Buch mit einem Nachruf auf Alex beginnt.

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Liebe Buchling,

genau darum war’s mir in meiner Entgegnung auf @DuaneHanson auch gegangen: Daß du es mit ersichtlich weniger Wörtern als ich geschafft hast, nötigt mir hohe Achtung ab. Die Journalistin beherrscht ihr Handwerk!

Viele Grüße von Palinurus

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Ja, wir haben da große Schnittmengen, allerdings:

Hier liegt der Unterschied in unserer Wahrnehmung: Für Dich verpufft dann die Spannung; für mich bleibt sie erhalten, daraus rührt ihre Nervigkeit.

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Aber bei weitem nicht so formvollendet und vielschichtig formuliert wie Du :wink:

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Mit Betracht darauf, was hier inzwischen zum interessanten Beitrag von @DuaneHanson noch angemerkt wurde – dir scheint es ja zumindest bei Filmen ganz ähnlich wie ihm zu gehen --, sehe ich freilich keinen Anlaß zu (leicht versteckten) … ähm … „Entschuldigungen“ deiner Präferenzen. Freilich: Es liegt immer „an einem selbst“, ob man abschaltet. Nur ist es eben so, daß es auch „an einem selbst“ liegt, wenn man’s – trotz Vorliegens offenbaren Schunds – eben nicht tut (siehe dazu auch den Beitrag von @Buchling

Und mein Dank für die neuerliche Korrektur. Wenn du durchhältst, werde ich es lernen (mit dem Genitiv mache ich ja inzwischen schon Fortschritte …)

Gruß von Palinurus

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Geht mir manchmal auch so. Wobei es wieder an der Wahrnehmung liegt. Was der eine spannend findet, ringt dem andern höchstens ein müdes Lächeln ab.
Ich verstehe, was du meinst. Wenn man beim Lesen oder Schauen das Gefühl hat, dass man atemlos durch die Geschichte gepeitscht wird, kann das ganz schön nerven.
Ich habe mal einen Liebesroman gelesen, da hatte ich das Gefühl, dass der Autorin der Konflikt ihrer Figuren nicht reichte. Da musste mehr her. Die zusätzliche “Spannung” wurde regelrecht an den Haaren herbeigezogen. Fürchterlich.
Davon abgesehen kann ich einiges ab. Ich lese, oder schaue, je nach Lust und Laune mal mehr, mal weniger Spannendes.

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So ist es doch. Die Geschäcker der Lesenden sind doch sehr unterschiedlich.
Deshalb ist das Thema ‘Zu spannend?’ eigentlich ein Frage, über die man endlos diskutieren kann ohne auf einen gemeisamen Nenner zu kommen.
Aber es stimmt schon, dass manche Autoren glauben, immer noch mehr Spannung einbringen zu müssen und damit den Bogen überspannen und dabei unpassende, wenn nicht gar unlogische Geschehnisse einbauen.

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Für mich persönlich gilt diese Feststellung auch für Liebesromane/Chicklit oder Romantasy. In solchen Geschichten reiht sich dann eine spannende Wendung an die nächste. Die Protagonistin sieht ihr LI mit einer anderen Frau MIT KIND, o mein Gott, er ist schon Vater und sagt es ihr nicht, was sich dann als die alleinerziehende Schwester von ihm entpuppt, der er natürlich hilft, dann ist da die Arbeitskollegin des LI, die ihm immer nachstellt und ihn auf der Weihnachtsfeier einen Kuss aufzwängt, den die Protagonistin natürlich sieht und über allem stehen die Erfahrungen der Protagonistin in der VErgangenheit, als sie von ihrer ersten Liebe aufs Gröbste hintergangen wurde und vor der gesamten Schule bloßgestellt wurde, was sie ihm aber nicht offenbaren kann, weil #drama, und weil er ihre Zurückweisung nicht mehr aushält, reist er zu seiner Oma auf’s Land, was ihr einen erneuten Stich ins liebesgepeinigte Herz versetzt, doch sie eilt sofort zu ihm, als sie die Nachricht von seiner Schwester erreicht, dass er beim Apfelschälen für ein Apple Crumble ein Hirnaneurysma (ich liebe Hirnaneurysmen in Stories ggg) erlitten hat und nun im Krankenhaus liegt … dann küsst sie ihn, doch als er die Augen aufschlägt, kehrt die Erinnerung an ihre Vergangenheit zurück und sie flüchtet und verliert dabei einen Gummistiefel …

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Sozusagen der diabolus ex machina :smiley:

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Eine Serie, die sehr gut gemacht ist, ist „Game of Thrones“.
Da wurden die Grenzen des Machbaren genau ausgelotet, was Spannung, Sex und Gewalt betrifft. Zu keiner Zeit anstößig, oder unglaubwürdig.
Ich denke, das macht den Erfolg der Serie aus, und die Massentauglichkeit.

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Spannung ist gut, Langeweile nicht gut… ich denke auch, man kann mit beidem zuviel - zuwenig - falsch machen. Es ist wie das Salz in der Suppe. Genügsam gibt es eine Geschmackexpolsion, zuviel einen Tadel an den Koch.
Dan Brown und seine Chliffhanger sind meines erachtens nach gut gesetzt und nicht umsonst landen seine Bücher auf den Bestellerlisten. Aber es ist wie Waba bereits sagte, über dieses Thema könnte man endlos diskutieren und wahrlich wird man nur selten denselben Nenner finden.

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Ich habe es verstanden, ich bin zu einfach gestrickt und wenn es mir zu spannend ist, dann haben die Autoren keine Schuld, denn ich bin zu infantil, um Wirklichkeit und Fiktion voneinander zu unterscheiden. Na, vielen Dank für die Blumen.
Nicht zum ersten Mal muss ich dir widersprechen, aber zum ersten Mal geht mir dabei das Messer im Sack auf. Für einen Autor fiktionaler Geschichten gibt es nicht Wichtigeres, nichts Besseres, nicht Schöneres und Erfüllenderes, als zu erreichen, seine Leser derartig mitzunehmen, dass sie so empfinden. Natürlich nehme ich als Rezipient die Fiktion nicht als solche wahr, denn andernfalls könnte ich mir das Lesen oder Ansehen genauso gut schenken. Sind also alle Leute, die im Kino ein Taschentuch vollheulen in deinen Augen sentimentale Trottel? Scheint fast so. Trifft sich ganz gut, denn wie ein Trottel komme ich mir auch vor, wenn ich einen Gutteil deiner Beiträge lese. :smirk:

Es kann doch nicht dein Ernst sein, dass du sagst, stell dich nicht so an, es ist doch nur ein Buch! Indianer kennen keinen Schmerz. Gegen deine These spricht außerdem, dass die meisten Menschen im Lauf ihres Lebens empfindlicher werden, was so etwas angeht. Als Sechzehnjähriger sieht man einen Kriegsfilm mit völlig anderen Augen als als Sechigjähriger.

Ich fasse zusammen. Wenn ein Buch oder ein Film zu spannend ist, kann ich Fiktion und Realität nicht trennen. Derbe Ansicht und ein Schlag ins Gesicht jedes Autors, der es schafft, in seinen Rezipienten Gefühle hervorzurufen. Ich kann mir tausendmal sagen, dass es doch nur eine Geschichte ist. Aber wenn ich zu sehr leide, muss ich den Stecker ziehen. Nimmt mich zu sehr mit. Aufgabe des Autors ist es, den Rezipienten so sehr zu fesseln, dass es echt wirkt. Und unter dieser Prämisse ist ein Zuviel an Spannung sehr wohl möglich.

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Nö. Definitiv nicht!

Viele Grüße von Palinurus

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Na siehste, dann eben so herum, in jedem Fall zu einfach gestrickt. Entweder für dich oder die moderne Filmindustrie! o_O

Lieber Duane,

bitte unterstelle mir keine Intentionen, die ich nicht hege. Was dich auf die Palme brachte, war offenbar jener Part, in dem ich darauf hinauswollte, daß nicht in jedem Fall immer der Autor/Regisseur usw. “dran schuld ist”, wenn ein Rezipient mit der Spannungskonfiguration o.ä. nicht klarkommt. – Sofern du mal versuchst, von deinem Furor runterzukommen, wird es dir ganz sicher möglich sein, das sachgemäß zu reflektieren. – Und im zweiten Schritt könntest du dann versuchen, das als eine Aussage aufzufassen, die keineswegs nur dir galt, sondern für alle hier Mitlesenden gedacht war (und ich beziehe mich dabei auch selbst mit ein, denn es ist gar keine Frage, daß ich mit meinen Urteilen über Filme oder Bücher genauso danebenliegen kann wie alle anderen Menschen auch).

Womöglich könntest du dich ja sogar aufraffen, nochmal meine Reaktion auf den Beitrag von @Alex Sassland nachzulesen, dann müßtest du eigentlich erkennen, daß deine Unterstellung unsinnig ist.

Viele Grüße von Palinurus

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Schaut man sich die lange Zeitlinie an, dann kann man durchaus erkennen, dass wir in einer subjektiv immer atemloseren Zeit leben. Seit gut zwei Dekaden werden im Film die Schnittfolgen immer kürzer, bis an die Grenze des gerade noch Wahrnehmbaren. Das gilt nicht nur fürs große Kino, sondern bildet sich auch im Alltäglichen ab, in Werbespots zum Beispiel. Warum sollte das in der Literatur anders sein, bildet doch auch sie die Welt ab? Von den Folgen der Digitalisierung will ich garnicht erst reden.
Dieser grundsätzliche Zeitgeist ist all unserer Wahrnehmung unterlegt. Insofern mag man sich als Autor dem ergeben oder aber versuchen, genau jenen natürlichen Flow in den eigenen Texten hervorzurufen, der den Leser mitzieht, ohne ihn nach vorne zu prügeln.

Die Dosis macht das Gift, auch literarisch!

mit morgendlichen Grüßen aus dem Taunus
Roland aka Orlando

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Hallo Orlando,

was du hier in die Diskussion einbringst, sehe ich persönlich als das Wichtigste an der vorgetragenen Sache überhaupt an – die absurd schnellen Bildfolgen, die „Informationsdumps“ (wie das heute neudeutsch genannt wird; Paul Virilio hat von Informationsbomben gesprochen, die dann eigentlich eher desinformierend sind … etc.pp.) --; ja, das ist der große, rauschende Hintergrund der ganz modern times; und natürlich springen auf diesen Zug nicht zuletzt auch die „Macher“ und ihre Elaborate der von Adorno/Horkheimer sog. *Kulturindustrie *auf: Immer „am Puls der Zeit“, immer schneller, immer mehr … – Einhalt zum bloßen Atemholen, oder Rückversicherung gar, ob wir gut daran tun, was wir tun, scheint in der maßlosen Beschleunigung, der wir alle miteinander unterliegen, völlig abwegig … auf eine gewisse Weise … aussichtslos [sic]!

Der schon angeführte Paul Virilio (der Philosoph des Paradigmas von Be- und Entschleunigung) hat den ganz modernen Menschen einmal als „mediennutzenden Hampelmann“ bezeichnet, der von den akutesten Ausdünstungen der Kulturindustrie systematisch zur reflexionslosen Ameise in einem wimmelnden Insektenstaat gemacht wird: "„Ich glaube, wir steuern auf eine, wie ich es nenne, Globalisierung der Affekte zu. Wir befinden uns hier vor einem neuartigen, wenn nicht religiösen Phänomen: vor der gottgleichen Möglichkeit, praktisch auf der ganzen Welt das gleiche Gefühl zu erzeugen.“ [Kursivierung von Palinurus]
Das alles ist natürlich vor dem Hintergrund einer maßlosen Beschleunigung der Informationsflüsse samt ihrer jeweiligen Affektmanipulation zu sehen – und schaut man von daher auf die hier im Thread abgegebenen Statements mit verweigerndem Gestus, etwa ‚Spannung‘ betreffend, z.B. von @Alex Sassland und @DuaneHanson , auf etwas andere Weise auch von @Scherbengericht bspw., so scheint dem offenbar auch ein gesunder Schutz-Instinkt anzuhaften, weil es halt im Angesicht der gerade auch von Virilio aufgerissenen Lage geradezu notwendig zu sein scheint, einerseits innezuhalten und auf der anderen Seite wohl auch Verweigerung zu üben, wenn man im Meer der vorüberflutenden Sinnlosigkeit nicht untergehen möchte.

Ich für mein Teil plädiere nachdrücklich für Nichtergeben! – Hier im Forum etwa kommen bei Besprechungen von eingestellten Textproben gar nicht so selten Vorhalte derart, der/die Auto/in müsse [sic] gleich zu Anfang gar mächtig „Spannung erzeugen“, sonst seien die Leser „draußen“. Mir stellt sich hier die Frage, ob ich solche Leser überhaupt will … also sofern sie eine derart diktatorische Präferenz haben (denn natürlich kann man es gleich zu Beginn mächtig knallen lassen – nur: wo steht geschrieben, daß das so sein müsse?). Sind solche Leser nicht schon auf dem Weg zu Virilios Ameisendasein im Modus des standardisiert (nur noch) konsumierenden Hampelmanns vorm Bildschirm oder eben der NullAchtFuffzehn-Schwarte?! – Ich weiß auch nicht, was ich von Autoren halten soll, die sich derlei „Anweisungen“ (meist irgendwelchen „Schreibratgebern“ oder ähnlichem Firlefanz abdestilliert) kritiklos zu beugen vermögen.

Wenn du oben von „natürlichem Flow“ sprichst, so möchte ich das gerne unterschreiben, weil es doch – egal ob wir auf Literatur oder Film schauen – an der jeweiligen Story und ihren internen Konstellation liegt, wie und wo Spannung aufgebaut und ggf. auch zurückgefahren wird (andere ästhetische Belange dito); aber doch ganz sicher nicht an irgendeinem der Story vollkommen auswendigen … ähm … Rezept (wenn ich einen Käsekuchen backen möchte, nehme ich doch auch nicht ein „Universalrezept für Kuchen“!). Ich denke jedenfalls: Es gibt kein universales Rezept für einen guten Roman oder einen gut gemachten Film. Aber wenn immer mehr Bücher, Filme, Serien usw. nach standardisierten Rezepten abgewickelt werden, wird natürlich auch der rezeptive Bick auf derlei Elaborate standardisiert … und dann gibt es halt Leute auf der produzierenden Seite, die diesen Matsch nicht nur von enthirnten Ratgebern, sondern auch noch vom eigenen Rezeptionsverhalten diktiert bekommen und dann wähnen, alles außerhalb dieser breiigen Scheiße könne „nicht richtig sein“ … denn: schauen nicht Millionen diese oder jene Serie, lesen denn nicht Hunderttausende diese oder jene Schwarte? Und lassen sich damit etwa nicht Unmengen von Kohle verdienen? – Tjjjjjja, wenn freilich das mehr oder weniger allein die maßgebenden Kriterien für eine gute … ähm … spannende Story oder einen guten … ähm … spannenden Film sind … – Dann willkommen im Ameisenhaufen: Da fressen auch alle das gleiche und keiner fragt, ob es eigentlich auch schmecke!

Vielen Dank für deinen instruktiven Beitrag, lieber Orlando!

Gruß von Palinurus

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